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18. November 2011 – Anreise, Agadir – Taroudant, Hennen oder Eier?

Es ist vier Uhr dreißig, Hannover Hauptbahnhof. Um vier Uhr fünfunddreißig fährt die S-Bahn zum Flughafen und Karla ist noch nicht hier. Ich schalte mein Mobiltelefon ein und wähle ihre Nummer. “Oh, mein Wecker hat nicht funktioniert! Ich nehme ein Taxi zum Flughafen.”

OK.

Ich habe das Zelt, Kocher, Werkzeug, Luftpumpe. Kann somit auch alleine fahren. Aber Karlas Rad und Packtaschen sind seit gestern abend abgefertigt und jetzt wohl auch schon im Flieger – der hebt in genau 55 Minuten ab.

Irgendwie fährt diese dämliche S-Bahn nicht los. Es ist 4:40 Uhr, ich gehe zum Fahrer, will an der Tür klopfen. Da fährt das Ding endlich an.

Am Abfertigungsschalter spreche ich mit einem jungen Mädel (bin bald 50 – da sind viele Frauen “Mädels”): “Meine Freundin kommt mit dem Taxi, müsste in zehn Minuten hier sein.” “Knapp!” sagt sie kurz. “OK – ich sage am Einstieg Bescheid, dass die Maschine bis auf den letzten Drücker warten soll.” “Danke.”

Ich gehe zur Sicherheits-Schleuse. Was um alles in der Welt machen die ganzen Leute so früh hier? Sollten zuhause im Bett liegen, sorgen für ewig lange Warteschlangen. Na ja, ich bin eingebucht, Karla auch, die Kiste wird ohne uns nicht abheben. Ich sehe Karla um die Ecke biegen – sie wirkt ein wenig orientierungssuchend, aufgeregt, aber auch erleichtert. Schließlich ist sie eher da als ich dachte. Ich rufe, schicke sie nochmal zum Schalter-Mädel, dann ist erstmal Durchatmen dran. Und das um kurz nach fünf Uhr morgens.

TUI-Flug Nummer sowieviel nach Las Palmas fliegt fast pünktlich ab. Im Flieger frage ich meinen Nachbarn erstmal, wohin wir eigentlich fliegen – “Las Palmas” gibt es viele. “Gran Canaria.” “Danke.” Die vor uns lachen, mein Nachbar schaut fragend.

Nach einem Flugzeugfrühstück, der üblichen Werbe- und Verkaufsqual, “Larry Crowne” mit Hanks und Roberts, einem Zwischenstopp in Las Palmas und einem Umstieg in ein anderes Flugzeug landen wir pünktlich in Agadir. Es ist Mittag.

Der Flughafen versprüht orientalisches Flair, die Fahrräder sind heil, das Gepäck komplett, das Wetter genial. Wir treffen einen Radler aus Frankfurt, der uns wertvolle Tipps für die Route bis Rissani an der Ostgrenze Marokkos gibt. Karla und ich bemerken, dass wir beide fast keine Zeit für die Vorbereitung und mentale Einstellung auf diese Reise, dieses Land, diese Kultur hatten. Uns nicht genommen haben. Eigentlich wollte sie noch ihr Französisch auffrischen und ich meine Planstrecke aus dem Internet in die Karte einmalen. Stress. Bei beiden. Blöd und nicht angemessen für eine solche Reise. Ich wollte mich auch nochmal mit der Kultur der Berber auseinandersetzen, durch deren Gebiet wir ja fahren. Wie begrüßt man sich? Wie wünscht man sich Glück? Dann müssen wir das eben unterwegs lernen.

Bis Taroudant fahren wir eine vierspurige, viel befahrene Straße. Die Lockerheit der Fahrer fällt uns sofort auf. Und die Art der Fuhrwerke, die hier rumfahren. Vom deutschen Protz-Geländewagen bis zum Esel-Gespann. Wir fahren ganz rechts und dennoch überholen uns alle Autos, Laster und Mopeds auf der linken Spur.

Unterwegs halten wir an einer Tankstelle für einen Tee. Tee? Tee auf marokkanische Art. Das Glas wird mit frischer Nana-Minze vollgestopft, darüber gibt es den Tee-Sud. Darüber noch einen Aufguss. Dazu wird ein Zuckerquader von zirka drei mal zwei mal ein Zentimeter gereicht. Den braucht das Gebräu auch. Aber dann ist das echt lecker.

Zum ersten Mal kommen wir mit den Menschen hier in Kontakt. Total freundlich, bemühen sich sehr, französisch mit uns zu reden. Aber unsere Kenntnisse sind echt grottig. Ich nehme mir vor, mal einen Grundkurs bei der Volkshochschule zu belegen.

In Taroudant finden wir ein kleines Hotel, das sauber und authentisch erscheint.

Erstmalig erleben wir nach Zimmerbeziehen und Duschen einen typischen Basar. “Klein Marakesch” wird das hier auch genannt. Ein Gewusel ist das – unglaublich: Fußgänger, Autos, Laster, Motorräder, Dreiräder, Esel-Gespanne, Pferdekutschen, Mofas, Fahrräder – alles bewegt sich offensichtlich ohne Regeln durcheinander. Die jungen Kerle auf den Mofas bremsen zum Teil mit den Füßen. Ich weiß nicht wie, aber sehe, dass es funktioniert. Wie Blut in den Adern. Nur mit Gegenverkehr. Mir gefällt die Unaufgeregtheit, mit der die Menschen hier mit sich selbst umgehen.

Aber es stinkt, beißt in Nase und Hals. Es stinkt in dieser Stadt, weil die alten Diesel und Zweitakter das Öl zu dicken schwarzen Rauchschwaden verbrennen und ungefiltert in die Luft pusten. Die Fuhrwerke selbst sind zum Teil recht abenteuerlich – vor allem spannend beladen. Hier sind die meisten Fahrzeuge noch Mittel zum Zweck. Sie müssen transportieren, nicht als Statussymbol dienen.

Der Pragmatismus der Orientalen, der mir als Deutschem so auffällt, hält nicht beim Beladen von Dreirädern auf – er geht bis ins Philosophische: Wir beschäftigen uns ja häufig mit der Frage, was zuerst da war: Die Henne oder das Ei. In Marokko wird die Frage wie folgt beantwortet: Beides. Egal. Aus der Henne wird eine Suppe, aus dem Ei ein Omelett. Warum sollten wir das in Verbindung bringen? Du kannst Hennen und Eier in einem Laden kaufen. Gleichzeitig. Warum fragst Du überhaupt? Wo ist Dein Problem?

Beim Staunen und Denken wird der Gestank-Teppich von leckerem Meeresfrüchte-mit-Knoblauch-Bratfett-Geruch überlagert. Wie Hunde halten wir die Nasen in den Wind und suchen die Geruchsquelle. In einer Seitenstraße werden Fischteile, Scampis und kleine Sardinen frittiert. Die Bude ist rappelvoll und wir lassen uns einen großen Teller mit Frittiertem belegen. Dazu Brot und zweierlei Soßen. Zahlen sollen wir hinterher. Das ist lecker. Auch in diesem Lokal hier ist es wuselig – und dennoch nicht hektisch. Und dann der Preis: 15 Dirham, nicht mal ein Euro fünfzig. Für beide.

Satt und müde gehen wir ins Hotel Atlas zurück.