Tag Archives: El Salvador

Montag, 16.2.2015: Von El Cuco/El Salvador nach Choluteca/Honduras

Jeans Situation beschäftigte mich noch eine ganze Weile in der Nacht – ich frage mich, wie es denn sein muss, wenn die Partnerin in der Beziehung keine Perspektive für sich sieht.

Was treibt uns denn nach vorn, wenn nicht die Perspektiven, die Erwartungen für und an die Zukunft? Ja, wenn in einer wichtigen und wesentlichen Situation für uns keine Perspektive erkennbar ist und sich das auf das gesamte Leben auswirkt, dann müssen wir uns wieder Perspektiven verschaffen. Oder wir werden depressiv oder verzweifelt oder fatalistisch.

Und da hat Hermann Hesse dann Recht (und meine Mutter auch): Ein Ende ist immer auch ein Anfang, etwas Neues mit neuer Perspektive.

Jean und ich umarmen uns zum Abschied. Er ist der erste Franzose, den ich kenne und der richtig sympathisch ist. Das sage ich ihm. Er weiß, wie ich das meine. Vielleicht sehen wir uns wieder in La Union oder in Nicaragua.

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Sonntag, 15.2.2015: Ruhe für den Körper, Tumulte für die Gefühle

Noch vor dem Frühstück gehe ich zum Strand. Schwimme das erste Mal in meinem Leben im Pazifik. Kraft pur. Das, was ich gestern schon gesehen und geahnt habe, kann ich jetzt mit meinem Körper fühlen.

Als Triathlet und Ironman kann ich gut schwimmen und bin auch schon Wettkämpfe mit knapp vier Kilometern im Meer geschwommen. Nie hatte ich mir Gedanken gemacht über Strömungen, Wellen, Salzwasser. Viel gehört hatte ich schon von Leuten, denen vom Wellengang beim Schwimmen schwindlig oder schlecht wurde. Oder beides. Ich kenne das nicht.

Aber ich bin bisher auch noch nicht im Pazifik geschwommen. Hier ist ein Surferparadies. Das heißt, dass die Wellen schon recht ordentlich und kraftvoll sind. Und so gehe ich voller Respekt ins Wasser. Am Strand sind die Wellen eher klein und unscheinbar. Das ändert sich nach rund fünfzig Metern im Wasser. Jetzt werde ich zum Treibholz. Ich gehe mit den Wellen hoch und runter, schwimme den Stellen entgegen, wo sich die Wellen brechen. Die erste Welle kommt auf mich zu, die sich wahrscheinlich genau über mir überschlagen wird. Ich tauche ab. Ich höre erst das normale Gluckern, dann ein Rauschen und dann ist Ruhe. Über mir wurde es dunkel, jetzt ist es wieder hell. Ich tauche wieder auf. Wie gerne würde ich surfen und mit diesen Wellen spielen können. Die nächste Welle kommt, ich versuche, mich steif zu machen und einfach nur mit meinem Körper auf ihr zu surfen. Kläglich, der erste Versuch. Die Gischt zieht mir fast die Badehose aus. Auch der zweite und der dritte Versuch enden ähnlich. Ich versehe mich wieder auf’s Drunterdurchtauchen.

Nach einer halben Stunde lasse ich mich mit den Wellen wieder zum Strand treiben und gehe in mein Zimmer, um zu duschen. Jean, mein französischer Zimmergenosse, ist mittlerweile auch wach und wir gehen gemeinsam zum Frühstücken. Jean spricht nur wenig englisch, dafür allerdings sehr gut spanisch. Ich verstehe sehr gut spanisch und spreche sehr gut englisch. Wir einigen uns auf spanisch als Hauptsprache und ich darf hin und wieder ins Englische wechseln, wenn ich auf spanisch nicht weiterkomme. Das funktioniert gut.

Tortuga Verde I

Tortuga Verde I

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Freitag, Samstag, 13./14. Februar 2015: Costa de Bálsamo bis Zacatecoluca und in die grüne Schildkröte

Warm ist es nachts im Zelt. Der Fels ist von der Sonne aufgeheizt und gibt diese Wärme gerade wieder ab. Außerdem fahren die Laster hier die ganze Nacht durch, so dass ich schlecht schlafe.

Na ja, meist ist es so, dass ich dann zwar nachts nicht ganz so tief schlafe, aber frühmorgens nochmal so richtig weg bin. Dann drehe ich mich auf den Bauch, zupfe mir mein Seiden-Inlett auf der Isomatte zurecht, schmeichel mich mit meiner Wange dran und falle wunderbar tief in den letzten Schlaf der Nacht – schon in der Vorfreude auf den kommenden Tag.

Meistens ist die Freude auch gerechtfertigt, so auch heute.

Ich frühstücke – wie verabredet – wieder im Comedor. Esekiel ist schon da und bedient einen Tisch mit guatemaltekischen Lastwagenfahrern. Ich setze mich zu ihnen, um ein wenig über das Leben der Trucker in Mittelamerika zu erfahren.

Die Jungs sind total nett, ich werde ausgefragt über meine Ziele, meine Familie und bis hin zur letzten Schraube meines Fahrrads. Somit kriege ich von deren Leben gar nicht so viel mit.

Am Ende ist es ein herzlicher Abschied: Der Chef des Comedor fühlt sich sehr geehrt, umarmt mich. Ich bin sehr überrascht, freue mich und lasse noch ein ordentliches Trinkgeld für Esekiel da.

Jetzt geht’s erstmal wieder weg von der Küste, in die Hügel der Costa de Bálsamo. Anstrengend ist es, und schön. Die Landschaft ist grandios, der Pazifik, den ich immer wieder sehe, strahlt eine ruhige Kraft aus, eine Kraft, deren Gewalt sich erahnen lässt.

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Donnerstag, 12. Februar 2015: Von Ahuachapán über die Ruta de Flores an die Costa de Bálsamo

Bumm! Peng! Sechs Uhr in der Früh. Bummbumm! Peng!

“Fuck, eine Schießerei!”

Ich schnelle hoch, ein Fenster, aus dem ich luken kann, gibt es in meinem Zimmer nicht. Ich öffne vorsichtig die Tür. Schaue raus. Niemand in der Hotellobby. Die Tür zur Straße ist offen. Peng! Ich zucke zurück. Vor der Tür zur Straße sehe ich Leute vorbeigehen. Normal gehend. Ich gehe zur Tür und schaue raus.

Irgendein Heiliger hat heute Geburtstag. Und direkt neben dem Hotel steht eine Kirche. Und in der Kirche steht ein Bildnis dieses Heiligen. Und dem Heiligen huldigen sie heute. Mit Böller- und Gewehrschüssen. Das geht den ganzen Tag so, sagen Passanten, die ich frage.

Ach, da ich nun schon mal wach bin und es wunderbar warm und dennoch morgenfrisch ist, packe ich meine Sachen zusammen und fahre einfach los. Ich freue mich auf die Ruta de Flores und den meditativen Anstieg, der sich in meiner Karte andeutet und der ein wohltuender Ausgleich für den frühen Schreck des Tages ist.

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Mittwoch, 11.2.2015: Vom Lago de Güija nach Ahuachapán

Ich habe den Wecker auf sechs gestellt, pünktlich fängt er an zu spielen, um mich zu wecken. Die bellenden Hunde aus der Nachbarschaft haben das allerdings schon früher geschafft. Und die krähenden Hähne von überall noch früher.

Es ist ein schönes Gefühl, so früh am Morgen einfach aufzustehen, aus dem Zelt zu krabbeln und sich wohl zu fühlen. Die Sonne geht gerade auf und es sind locker über 20 Grad.

Nach dem Zähneputzen und meinen Yoga-Übungen packe ich meine Sachen zusammen und sitze bereits um sieben Uhr auf dem Fahrrad. Ich denke noch mal über gestern Abend nach. Der Wirt gab mir die Hand und sagte, es würde die Nacht über nichts passieren. Wahrscheinlich ist es so, dass ich mich entweder verstecken muss und gar nicht gesehen werde oder dass ich eben einen Pakt schließen muss mit den Leuten vor Ort.

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Montag, 9.2.2015 und Dienstag, 10.2.2015: Von Lanquin mit dem Bus nach Chiquimula und dann nach El Salvador zum Lago de Güija

Das Wetter ist nicht so pralle, die Dosis Zivilisation von gestern reicht mir erstmal wieder und so entscheide ich mich, weiterzufahren. Zunächst mit dem Bus bis Chiquimula noch in Guatemala und dann weiter nach El Salvador. Eigentlich wollte ich von Guatemala direkt nach Honduras und dort die Copan-Ruinen sehen. Nach Chichen Itza und Tikal brauche ich allerdings nicht noch eine Maya-Kultstätte.

Ich fahre erstmals mit einem Collectivo, das sind kleine Busse im Stile eines Ford Transit – vielleicht ein klein wenig größer. Die hier sind alle aus Japan oder Taiwan oder China, ich habe die in Europa noch nie gesehen.

Egal – es passen ungefähr 30 Leute rein, dann ist die Kiste aber auch rappelvoll. Unterwegs steigen Leute immer wieder ein und aus. Bushaltestellen gibt es nicht, wer sich meldet, wird bedient. Mein Fahrrad liegt oben auf dem Dach, festgezurrt. Der Bus ist schon fast voll, da kommen noch einige einheimische Frauen mit Kindern dazu. Der Schaffner klappt plötzlich Sitze im Gang hoch, die ich erst überhaupt nicht gesehen habe. Eine junge Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm setzt sich neben mich und lächelt mich an. Das ist so ein ruhiges, warmes Begrüßungslächeln, das exakt die Gelassenheit und Nähe ausdrückt, die mir immer wieder auffällt, wenn ich die jungen Mütter mit ihren Kindern beobachte. Wir sitzen wirklich sehr eng nebeneinander, unsere Arme berühren sich und ich schließe meine Augen, um möglichst viel von der Energie, die diese Frau hat, aufzunehmen. Ich bin völlig überrascht, hatte so ein Gefühl der Nähe zu einem wildfremden Menschen noch nie. Es ist auch kein Mann-/Frau-Ding sondern eher die Erinnerung an eine unbedingte Geborgenheit, wie ich sie zuletzt wahrscheinlich bei meiner Mutter oder Großmutter gefühlt hatte.

Diese Ruhe strahlen die Maya-Mütter fast alle auf ihre Kinder aus. Ich habe noch nicht ein Kind schreien gehört. Und genau diese Ausstrahlung, die wohl ihrem Kind gilt, gibt diese Mutter jetzt unwissend auch mir mit.

In Chiquimula ist es heiß.

Ich muss mich nach der Zeit in den Bergen erstmal an die stickige Luft hier gewöhnen.

Lust auf Weiterfahren habe ich nicht, ich finde das Hotel California und steige in dem Hotel ab, das eines meiner Lieblingslieder besingt. Es passt sogar: On a dark desert highway… Und die Colitas riecht man hier allerorten. Aber das ist nichts für mich, nicht hier, nicht allein und nicht mit fremden Menschen.

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