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26. Mai 2009

Leicht verkatert wache ich auf. Gut, dass ich mir mein Frühstück nicht erst erlegen oder sammeln muss. Selbst den Kocher aufstellen und bedienen wäre mir jetzt zu gefährlich. Das was dann zustande käme, wahrscheinlich kaum genießbar. Also gibt’s nochmal Kaffee und Muffins. Wer weiß wo ich morgen früh liege und was ich da frühstücken muss.

Nur mal so: Der Yukon ist vor meinem Zelt noch teilweise zugefroren...

Kalt ist’s draußen.

Ich sammel meine Dreckwäsche ein und gehe zu den Waschräumen. In den Waschbecken vor den Toilettengebäuden, die für die Wäsche gedacht sind, liegen Speisereste vom gestrigen Abend – nicht allzu appetitlich. Vielleicht wirken matschige Reiskörner und Ketchupreste ja desinfizierend im Trikot – in jedem Fall wäre die Wirkung berechenbarer als die allheilversprechende Nano-Technologie mit der Versilberung von Plastikfasern für unsere Haut.

Aber ich will hier keinen Feldversuch starten und wasche meine Wäsche kurz im Handwaschbecken des Toilettengebäudes durch. Für die Wäsche die geruchsärmere Variante, für die Nase nicht. Vor allem dann nicht, wenn einige der Zeltplatz-Gäste gestern abend ordentlich getrunken haben und nun auf dem Klo ihr “Coming-Out” zelebrieren.

Normalerweise wird das olfaktorische System beim Menschen alle 60 Tage erneuert, wobei alte Riechzellen absterben und durch neue ersetzt werden. Bei mir dauert das heute morgen genau die 10 Minuten, die ich hier im Klogebäude brauche, um meine Wäsche einmal kurz durchzuwaschen.

Ich hänge meine Wäsche an einer mitgenommenen 5-mm-Reepschnur auf, die ich zwischen zwei Bäumen gespannt habe. Dann gehe ich zur Rezeption, den Duft frischen Kaffees die neue regio olfactora streicheln lassend.

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Wenn ich morgens gleich nach dem Aufstehen schon irgendwas geleistet habe – egal ob Hausarbeit, Spanischlernen oder Sport – dann ist das Frühstück hinterher nicht nur Nahrungsaufnahme und Genuss sondern auch noch eine erste Belohnung. So fangen gute Tage an.

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Die Rezeption ist wie ein Taubenschlag. Hier gehen alle ein und aus, wollen zahlen, telefonieren, wissen wo der Rasenmäher steht, Post abgeben, kaffeetrinken, muffinsessen oder einfach nur quatschen. In Verbindung mit einem der netten Mädels hinter der Theke wähle ich die letzten drei Optionen. Eine Quebequoise ist sie, studiert irgendwas Marketing-mäßiges und zeigt sich erstaunt, dass ich sie auf die Animositäten zwischen den englischsprechenden Kanadiern und den französischsprechenden Kanadiern anspreche. Dass es Abspaltungstendenzen zwischen beiden Bevölkerungsgruppen gäbe. Ich erlöse sie aus ihrer Verlegenheit indem ich ihr ein wenig über die deutsche Wiedervereinigung erzähle, paradoxerweise verbunden mit Abspaltungstendenzen der Bayern und der Sachsen in Deutschland, der Südtiroler in Italien, der Korsen in Frankreich und der Basken in Spanien. Welche Volksgruppen zusammenkommen wollen, aber nicht dürfen oder auseinandergehen wollen, aber nicht dürfen. Und dass das manchmal zu heftigen Auseinandersetzungen – bis hin zu Kriegen – führen kann.

Irgendwie scheint das für sie ganz interessant zu sein, aber nicht aus ihrer schönen bunten Marketing-Welt. Ich wirke wohl wie Herr Oberlehrer und denke mir, dass es den Amis mit ihren ganzen Marken und den damit einhergehenden vereinheitlichten Produktqualitäten ja eigentlich auch völlig egal ist, ob eine Kleinstkultur sich von einer anderen Kleinstkultur abspaltet oder zwei zusammenkommen oder welche Kultur auf der Welt sie platt machen. Coca Cola und McDonalds sollen letztlich überall gleich schmecken, sozusagen Geschmack suprakulturell vereinheitlichen. Disney und Hollywood vereinheitlichen Märchenverständnis und Harley Davidson den Mythos von Freiheit. Pampers vereinheitlicht die Erstbehandlung von Kacke und Google die Berieselung mit Werbung. Monsanto löscht Pflanzenkulturen aus und Lockheed muslimische.

Vielleicht ist das ja sogar Frieden stiftend: Wenn wir auf der Erde alle nur noch ein einziges Verständnis von Kultur haben und somit nur noch eine einzige Kultur – warum sollten wir dann noch Kriege führen? Nicht Politiker sollten die Geschicke dieser Welt bestimmen, sondern die Chefs der großen Markenmultis! Die wissen was wir wollen, wie wir notfalls zum Glück gezwungen werden können. Was soll so ein armer Inder auch mit sauberem Wasser, wenn er doch viel einfacher an eine Coke gelangen kann und sich somit nicht nur selbst sondern auch noch eine Firmenzentrale in Atlanta beglücken kann? Win-Win-Situation nennt der Betriebswirt so etwas.

Huxley hat das 1932 schon hervorragend treffend beschrieben – wir werden zu “Stabilität, Frieden und Freiheit” gezwungen. Aber woher soll eine kanadische Marketingstudentin “Brave New World” kennen?

Ich glaube, jetzt habe ich den Eindruck extremvertieft: Ein Deutscher, der hierher kommt, um Rad zu fahren, während die Bären aus dem Winterschlaf erwacht sind, MUSS verrückt sein. Und dieser hier ist es definitiv.

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Micha und Flo sind jetzt auch wach. Gegen drei heute nacht haben sie dann per Internet und Skype einen Motorradladen irgendwo in Südhessen gefunden, der ihnen den Ketten-/Ritzel-Satz per Express nach Whitehorse schickt.

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Nochmal vorbei an der Klondike - heute mit Sonne

Ich mach mich auf den Weg, mein Fahrrad abzuholen. Unterwegs mache ich noch Halt im Visitor Information Center, um mir Infos über Straßenzustände und Waldbrände auf meinem Weg Richtung Süden zu besorgen. Vor den Kartenständern treffe ich Uwe, meinen Sitznachbarn vom Hinflug. Uwe stieg in Whithorse aus, während ich nach Anchorage weiterflog. Er ist regelmäßig im Sommer hier, hat seinen Pickup mit Wohn-Aufsatz bei Freunden stehen und hilft diesen dafür bei irgendwelchen Bauprojekten.

Zuletzt half er beim Ausbau der Takhini Hot Springs und die will er mir nun zeigen. Was soll’s – hole ich mein Rad eben später ab und bleibe noch eine Nacht in Whitehorse. Ich steige in sein Auto und wir fahren am Yukon entlang, biegen auf den Klondike Highway ab und kurz darauf in den Wald zu den Hot Springs.

Uwe erzählt mir von seiner Firma, die er in Deutschland verkauft hat und von deren Geld er jetzt lebt. Große Autos hatte er, Geld verprasst ohne Ende. Jetzt lebt er eher einfach, besinnt sich auf das, was das Leben wirklich schön sein lässt. Er möchte sein Wohnmobil noch fit machen, da seine Tochter demnächst hoch kommt – mit ihr will er den Dempster hochfahren, bis Inuvik. Zeigen will er ihr die Schönheit der Wildnis, über 700 Kilometer Schotterpiste, unterbrochen nur durch zwei Tankstellen. Näher kommen will er ihr. Wissen wie sie ist. Die Standard-Geschichte aufarbeiten: Hochzeit, Kinder, Karriere, Scheidung. Auf der Strecke bleibt die eben auch die Beziehung zu den Kindern.

Miles Canyon mit Robert Lowe Bridge

Ich denke an meine Tochter und bin ruhig. Sie ist jetzt vier – eine Woche nach ihrer Geburt habe ich sie das letzte mal gesehen. Vielleicht fahre ich mit ihr auch irgendwann mal den Dempster hoch. Wie ist das, wenn sich Vater und Tochter das erste Mal begegnen, wenn sie vielleicht schon in der Pubertät ist? Oder noch später? Wird sie die Entscheidungen, die Missverständnisse zwischen Vater und Mutter verstehen? Akzeptieren? Verarbeiten?

Die Hot Springs selber sind nett gemacht, eine familäre Athmosphäre umgibt die Anlage. Das warme, sprudelnde Wasser tut meinem Rücken gut – Uwe und ich sitzen im Becken nebeneinadner und schweigen eine Weile. Das ist ein gutes Zeichen: Reden kann man mit jedem, schweigen nur mit wenigen.

Hinterher schmeckt das Bier wieder und Uwe setzt mich nach einem Abstecher zum Miles Canyon später wieder in Whitehorse ab.

Vom Miles Canyon hat Whitehorse seinen Namen: Die Wellen der Stromschnellen des Yukon River sahen aus wie weiße Mähnen auf den Hälsen von Pferden. Im Miles Canyon selbst starben zu Zeiten des Goldrausches viele Menschen, die auf Booten und Flößen hier hoch kamen. Die Basaltsteine rechts und links an den Ufern ragen bis zu 20 Meter senkrecht aus dem Wasser und lassen ein Anlanden nicht zu. Wer da in den Stromschnellen kentert, ist verloren.

An den Wänden kam aus Stromschnellen niemand hoch - heute ist der Yukon gezähmt

Heute ist der Fluss gezähmt. Wär ja auch gelacht, wenn die Natur uns bestimmen wollte, wann wer stirbt. Ein paar Kilometer weiter flussabwärts haben sie einen Damm gebaut, um Whitehorse mit Strom zu versorgen und den Touristen eine Bootsfahrt auf dem Yukon zu ermöglichen. Wieder Win-Win.

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Bei Icycle hat Jack persönlich mein Rad wieder repariert – es soll jetzt zwischen den einzelnen Speichen des Hinterrads keine 2% Torsionsspannungsunterschied mehr geben. Ich weiß zwar nicht, ob das so sein muss, aber es hört sich einleuchtend an. Ich frage Jack nach einer Ersatzspeiche mit Nippel – grinsend zeigt er auf zwei Stück, die er schon mit Isolierband an den Rahmen geklebt hat. Pfiffig drauf, der junge Kerl. Es macht Spaß, mit Profis zu arbeiten.

Ich zahle und frage, ob es eine Kaffeekasse gibt. Mit diesem Begriff kann Jack nichts anfangen und ich versuche dieses Stück deutsche Kultur zu erklären. Er versteht nur, dass das eine Büchse für Trinkgeld sein muss. Ich lasse es gut sein – wahrscheinlich wird in deutschen Radläden alles mögliche aus der Kaffeekasse bezahlt, nur kein Kaffee. So gebe ich einfach noch etwas “Tip” und fahre wieder zum Zeltplatz.

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Unterwegs sehe ich auf einer Eisscholle mitten auf dem Yukon zwei Weißkopfseeadler – sich um einen Fisch streitend. Eine halbe Stunde lang beobachte ich dieses Schauspiel. Leider habe ich nur ein 85-mm-Objektiv dabei und es wird langsam dämmrig. Gute Bilder kann ich so also nicht schießen.

Totzdem halte ich einfach mal drauf.

Amerikanische Wappentiere im Clinch

Whitehorse Central Station

Gegen 23 Uhr bin ich wieder am Zelt und entscheide, mich gleich schlafen zu legen – morgen früh geht’s mit dem Rad weiter.

24. Mai 2009

Heute habe ich meinen Kilometerrekord geschafft: 769! Von Chistochina am Glenn Highway bis nach Whitehorse in Kanada. Rund 80 Kilometer mit dem Rad, den Rest mit einem dieser Riesentrucks.

Nach kalter Nacht und warmem Frühstück fahre ich bei schönstem Wetter los. Wegen der Kälte vergesse ich, mir die Hände und die Waden mit Sonnencreme einzuschmieren. Das rächt sich. Bereits nach zwei Stunden merke ich den Fehler.

Ich ziehe mir die lange Hose und die dicken Handschuhe an. Aber auch das verdirbt mir meine Laune nicht – die Weite dieser Landschaft ist unvergleichlich.

Wolken als Werk des Windes

Ein Berg in der Ferne wirkt wie ein Spoiler: Die warme Luft aus Osten wird nach oben abgelenkt, sie kondensiert in den oberen Schichten und es bildet sich ein Schweif über dem Berg. Einzigartiges Naturschauspiel. In solchen Momenten bin ich froh, das Fahrrad als Verkehrsmittel gewählt zu haben: Ich kann meine Klamotten dranhängen, habe ein Tempo, das mich ausreichend schnell für die Reiseziele und ausreichend langsam für die Natur sein lässt. Ich bin den Elementen direkt ausgesetzt und kann den Wechsel von Tageszeiten und Landschaften stetig beobachten.

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Irgendwann höre ich ein ungutes Knallgeräusch hinter mir. Als hätte jemand ein unter Spannung stehendes Stahlseil durchgeschnitten. Ich fühle, dass die Hinterradbremse bei jeder Radumdrehung einmal kurz an der Felge schleift. Scheibenkleister – Speichenbruch.

“Macht nochmal eine Inspektion” sagte ich kurz vor der Abreise zu meinem Radhändler. Die Räder seien gut ausgewuchtet und zentriert, sagten sie. Die Rohloff-Nabe würde ja dafür sorgen, dass die Räder symmetrisch eingespeicht werden und damit ein Speichenbruch absolut unwahrscheinlich wäre.

Das hilft mir jetzt auch nicht weiter. Bis Tok sind es noch rund 60 Kilometer und das ist der nächste Ort. Wenn ich weiterfahre, knallt bald die nächste Speiche, da das komplette Hinterradsystem auf sich ausgleichende Spannungen ausgelegt ist.

Speichenbruch, 700 Kilometer vor dem nächsten Radladen

Ich lerne, dass es nicht reicht, einfach nur eine Ersatzspeiche mitzunehmen sondern auch einen passenden Nippel, da die Speiche direkt im Nippel gebrochen ist und ich den Rest da nicht rauskriege. Ursache für den Speichenbruch genau im Nippel ist die Tatsache, dass ich zwar mit meinen 26-Zoll-Rädern sehr stabile Räder habe, aber durch den großen Durchmesser der Rohloff-Nabe ist die Entfernung zwischen Nabenflansch und Felge so gering, dass die Speichen bereits im Nippel an der Felge beginnen, sich nach der Nabe auszurichten. Das führt zur Sollbruchstelle für die Speiche.

Hinterher erfahre ich von Riese und Müller, dass das konstruktiv durchaus nachvollziehbar sei und eine Felge mit schräg gebohrten Nippel-Löchern die bessere Wahl sei. Echt klasse! Da bauen die Fahrräder für die Weltreise, kommen durch Nachdenken auf gute Lösungen, setzen sie aber nicht um.

Genau vier Speichen neben der gebrochenen klebt ein Schild auf der Felge: “Handcraftet by Riese und Müller Wheel Team”. Meine Wut wächst. Denen werde ich was erzählen…

Aber all der Ärger hilft mir jetzt nicht weiter. Ich fahre mit meinem Rad weiter bis zum nächsten Parkplatz direkt am Highway.

Das Glück ist mit den Radlern: Auf dem Parkplatz steht so ein Riesenmonstrum von Lastwagen mit einem leeren Auflieger – eine einfache Holzpritsche mit drei Achsen drunter.

Der Fahrer sitzt in seinem Führerhaus und liest Zeitung.

Fragen kostet nix, ich klopfe an. Die Tür öffnet sich und ein freundliches männliches Gesicht mittleren Alters mit langen Haaren drüber schaut zu mir runter. Na ja – die Brille ist so dick und verschmiert, dass ich nicht weiß, ob der Mann wirklich erkennt, wer da unten steht.

Ich erzähle von meinem Missgeschick und frage ob ich bis Tok mitfahren könne.

Auf dem Land und in der Wildnis Alaskas sind die Menschen gegenseitig auf Hilfe angewiesen – niemand wird abgewiesen, wenn es nicht wirklich einen triftigen Grund gibt. Und so scheint es selbstverständlich, dass der Trucker aussteigt, sich mein Gefährt anschaut und mir den Anhänger anbietet, nicht ohne vorher zu kommentieren: “There’s nothing more you can put on that bike, eh?”

Ich binde Zelt, Schlafsack und Isomatte los, hänge die Packtaschen ab, und wuchte das Interconti hoch zu Randy, der es in der Mitte des Trailers auf die Seite legt, ein paar Zurrgurte drumwickelt und deren Enden dann irgendwo am Rand der Ladefläche festzieht. Runterfallen kann mein Rad jetzt jedenfalls nicht mehr.

Mein Gepäck verfrachte ich in die Kabine und klettere auf den Beifahrersitz.

Meine Güte, ist das groß hier! Ich schätze die Höhe der Kabine auf gut zwei Meter und hinter mir ist noch ein Schlafzimmer mit Doppelstockbett. Es sieht zwar aus wie Kraut und Rüben, aber dennoch wird dadurch die Großzügigkeit des Innenraums nicht beeinträchtigt.

Randy startet den Motor, mein Sitz vibriert nicht, er schüttelt sich. Randy sieht aus wie fünfzig, ist aber erst kurz über vierzig und schon zweifacher Großvater. Stolz erzählt er von seinen beiden Enkeltöchtern. Seine Familie lebt irgendwo in Montana, er arbeitet für eine Spedition in Anchorage, Alaska und muss jetzt nach Las Vegas, Nevada, um dort eine Maschine abzuholen und sie nach Fairbanks, wieder Alaska, zu bringen. Meist ist er sieben Tage die Woche unterwegs, sieht seine Familie kaum. Und das für “Sixty K Bucks” – 60 Tausend Dollar.

Mein Glück ist, dass fast alle Trucks leer in Richtung Süden fahren, da in Alaska nichts produziert wird, was in den Lower States, in Kontinental-USA, verkauft werden könnte. Fische bringt man nicht erst in Alaska an Land sondern schippert sie direkt nach San Francisco oder Los Angeles. Und Alaska lebt nun mal vom Erdöl, was per Supertanker transportiert wird.

Randy schätzt, dass er drei Tage nach Las Vegas braucht. Der Alcan Highway ist jetzt im Frühjahr schlaglochzersetzt und da könne er den Fuß nicht immer auf dem Gaspedal stehen lassen. Er hat noch einen älteren Truck und fährt ohne Navi und Tempomat – das bringt mehr Gefühl für das Gefährt und die Straße, sagt er.

Was ich denn in Tok wolle, fragt er. “Spokes and nipples”, antworte ich.

Randy lacht und klärt mich auf: Das was ich mit “Nippel” meine, sei wahrscheinlich ein “fitting” – für “nipples” kenne er nur eine Bedeutung und die erinnere ihn eher an weiche Rundungen als an spitze Speichen und harte Felgen.

OK – daran habe ich irgendwie schon lange nicht mehr gedacht…

“Warst Du schon mal in Tok?” reißt er mich aus meinen Gedanken.

“Bisher noch nicht.”

“Dort können sie Dir an einer Tankstelle vielleicht Speiche und Nippel wieder zusammenschweißen, aber einen Fahrradladen gibt’s da nicht.”

“Und wo ist der nächste Fahrradladen?”

“In Whitehorse.”

Whitehorse – das ist doch die Zwischenlandungsstation vom Hinflug, mitten in Yukon. Von dort bin ich noch zwei Stunden geflogen bis Anchorage. Das müssen also noch rund tausend Kilometer sein. Eigentlich wollte ich Rad fahren.

“Fährst Du da hin?”

“Ja, will dort übernachten.”

“Nimmst Du mich mit?”

“Ja – nur müssen wir uns an der Grenze nach Kanada noch was überlegen.”

“Warum?”

“Die stellen sich immer ziemlich pingelig an wegen der Zollformalitäten. Wenn ich Dein Rad hinten drauf lasse, muss ich Einfuhrzoll bezahlen.”

“Hmm…”

“Kein Problem: Ich halte kurz vor der Grenze an, wir laden das Rad ab, fahren getrennt über die Grenze, hinter der Grenze warte ich auf Dich, wir laden das Teil wieder auf und fahren nach Whitehorse.”

OK. Ich bin froh, dass das geregelt ist. Randy ist total nett und wir haben interessante Gespräche. Auch wenn er Jäger und Fallensteller ist, interessiere ich mich für seine Art zu leben. Jagen und Angeln ist hier ein Stück Kultur. Die Natur bietet einen reichen Schatz – “There’s so much!”.

Mit einer Diskussion über Ethik, Sinn und Unsinn von Jagden brauche ich gar nicht erst anfangen. Und Randy vermittelt mir ein Gefühl von Ehrfurcht vor der Natur, ihren Geschöpfen und vor dem was er tut. Früher waren wir doch auch Jäger – reduziert auf krude Triebe gibt es zwischen den Spezien nun mal nur Jäger und Gejagte. Schließlich könne er doch in der Wildnis auch schnell zum Gejagten werden, wenn er Bären begegnet.

Während er die Reisegeschwindigkeit zwischen 120 und 130 km/h hält, schaue ich immer mal wieder in den Rückspiegel – kann mein Gefährt gut erkennen. Highways in Alaska und Kanada haben die Eigenschaft, dass sie manchmal plötzlich Gravelroads sind – Schotterstraßen. Das hat mit dem Permafrostboden zu tun. Wenn der Winter an einigen Stellen zu hart an den Straßen arbeitet, lohnt sich eine Asphaltdecke nicht, da diese einfach zerspringt, platzt und Riesenstücke entstehen, die von den Trucks rausgerissen werden.

Da kommen dann eben im Frühjahr die Gravel-Maschinen, streuen Schotter und walzen den fest. Das funktioniert ganz gut. Hier oben fährt ja auch fast jeder irgendwelche Geländekisten, Pickups oder Trucks. Und ich ein vollgefedertes Interconti. Wenn es denn funktioniert.

Auf den Schotterstücken sehe ich im Rückspiegel nichts mehr – das heißt: Außer Staub nichts mehr.

Die Schlaglöcher, die jetzt schön tief sind, halten Randy nicht vom “Cruisen” ab. Wenn er ihnen nicht ausweichen kann, fährt er einfach drüber. So ein Truck ist ja aus fahrtechnischen Gründen kaum gefedert. Was das Fahrwerk nicht schluckt, muss der Sitz ausgleichen. Der Fahrersitz bewegt sich irgendwie eliptisch vor, zurück, hoch und runter. Das ist ein echtes Meisterwerk, Randy schaukelt beruhigend vor seinem riesigen Lenkrad. Der Beifahrersitz bewegt sich auch. Aber nur hoch und runter. Das Schlagloch kommt, der Truck erhält einen Mordsschlag. Mein Sitz wird nach unten gedrückt, der Gasdruckdämpfer im Sitzfuß wird zusammengepresst und dehnt sich sofort wieder aus. Das schleudert mich nach oben und ich weiß jetzt, warum die Kabine so hoch ist.

Die Grenze zu Kanada passieren wir gegen 21 Uhr. Wir machen es wie besprochen. Ich fahre getrennt von Randy, lasse mir den Ausreisestempel in meinen Reisepass eintragen und schiebe das Rad noch 200 Meter zu dem wartenden Truck. Die Zöllner beobachten das gelassen – formal ist doch alles geregelt.

Eine Einladung zu einem Abendessen in ein Trucker-Restaurant am Highway überrascht meinen Chauffeur. Sowas wäre doch gar nicht nötig. Ich bestehe auf meiner Einladung und so essen wir bei Burwash Landing die obligatorischen Hamburger und trinken Kaffee.

Hier sehe ich auch die ersten Grizzlys am Straßenrand – es seien keine Cubs, keine kleinen mehr, sondern geschätzte drei bis vier Jahre alt, meint Randy. Sie streunern rum auf der Suche nach Nahrung.

Ein Bär hat letztlich drei Hauptaufgaben: Fressen, schlafen, fortpflanzen. Die ersten beiden beschäftigen ihn zu mehr als 90% seiner Lebenszeit. Und Menschen stehen auf dem Speiseplan. Randy erklärt, dass wir zwar erst an zehnter oder elfter Stelle kämen, nach so leckeren Speisen wie Fisch, Beeren oder frisches Gras. Aber manchmal sehnen sich auch Bären nach Abwechslung beim Essen. Und dann wird’s gefährlich.

Abendstimmung am Yukon River in Whitehorse

Um 2 Uhr kommen wir in Whitehorse an. Auf der Tankstelle an der Hauptstraße verabschiede ich mich von Randy, gebe ihm meine Email-Adresse und weiß, dass er nicht schreiben wird.

Das sind Begegnungen, die einmalig sind. So einmalig wie die Menschen und die Natur hier. Auf der ganzen Fahrt habe ich nicht ein einziges Mal daran gedacht, ein Foto von Randy oder seinem Truck zu schießen – es hätte einfach nicht gepasst, etwas von der Harmonie gestört, die sich zwischen uns aufbaute. Am Ende waren wir beide dankbar: Er hatte 700 Kilometer Abwechslung und ich letztlich auch. Dass mein Radtransport da zur Nebensache wird, überrascht mich. Wieder Glücksgefühle. Deshalb bin ich unterwegs.

Mein Rad hat die Tortur auf dem ungefederten Trailer überlebt, nur ist es nicht mehr schwarz sondern grau vom Staub.

Ich suche mir einen Zeltplatz. Das ist hier einfach, da es nachts nicht dunkel wird. Der Himmel glüht im Norden, das ist ein irres Gefühl. Ich werde irgendwann mal nachts aufbleiben und fotografieren – die ‘Nacht’ dauert ja nur zwei Stunden.

Im Zelt liegend merke ich jetzt erst, wie müde ich eigentlich bin. Zufrieden und glücklich schlafe ich ein.