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2. April 2011: Sevilla und der Geist, heilig amerikanisch

Während die Menschen in den Dörfern hier sehr freundlich und offenherzig sind, schwappt mir in Sevilla die ganz normale globalweite großstädtische Gleichgültigkeit entgegen. Aber mir fällt auf, dass diese alte Stadt viele junge Menschen hat. Dennoch – irgendwie sehen die europäischen Städte für mich alle gleich aus: Randbezirke mit Industrie und hässliche Lagerblockbauten mit Blech, Büroblockbauten mit Glas Glas Glas, Wohnblocksilos mit Beton und Wäsche, Straßen, parkende und fahrende Laster und ganz viel Werbung für Dinge, die sich die Menschen, die dort wohnen, sowieso kaum leisten können.

Wenigstens soll die virtuelle Welt ein wenig Farbe vermitteln. Die Innenstädte bieten zwar zu den Vorstädten Abwechslung, aber nicht zu den anderen Innenstädten: Boutiquen, Starbucks, McDonalds sowie Kirchen und alte Gebäude. Manchmal werden erstere und letztere miteinander kombiniert.

Ich habe heute mal versucht, im Zentrum von Sevilla einen typisch spanischen Imbiss zu essen. So wie’ne Currywurst in Berlin oder’n Döner in Istanbul. Oder wie Fish’n’Chips in Telford. Gibt’s nicht. Bocadillos gibt’s bei Subway, carne de vaca bei McDonalds. Dafür kaufte ich mir ein sevillanisches Eis direkt an der Kathedrale. Einsneunzig für eine kleine Kugel. Wow. Touristenpreise eben – auch überall gleich. Gestern kaufte ich ein halbes Kilo Erdbeeren und ein Kilo Orangen direkt vom Feld für einsfünfundsiebzig. Lokale Preisdifferenzierung nennt das der Ökonom.

Vor der Kathedrale von Sevilla, der größten gotischen der Welt, hängt ein wirklich gut gemachtes Plakat der Aktion “Welt gegen Hunger”. In der Kathedrale nehmen sie acht Euro Eintritt, die zu 80% in den Erhalt des Bauwerks und seiner Schätze gehen, die restlichen 20% nimmt sich der Klerus selbst. Damit er nicht hungern muss.

Ich zahle 6,40 Euro zum Erhalt des Menschheitserbes und 1,60 Euro zur Sicherung spanischer geistlicher Arbeitsplätze.

Als erstes stehe ich unter diesem Ufo, das zu besonderen Anlässen durch das riesige (und ich meine wirklich: riesig) Kirchenschiff geschaukelt wird und stelle mir vor, wie es an einem locker 30 Meter langen Stahlseil hin und her schwingt und alle Gläubigen mit diesem Weihrauch be- und vernebelt. Wenn die direkt unter dieses Pendel eine Windrose malen würden, könnten sie sich den Foucaultschen Effekt anschauen und wüssten endlich, dass sich die Erde dreht. Mit Bordmitteln sozusagen. Aber wenn ich direkt unter dieser Schale stehe und den Weihrauch inhaliere, dreht sich sowieso alles. Kein Wunder, dass die heiligen drei Könige so einen riesigen Stern am Himmel sahen – die halbe Ration Weihrauch, die sie mitnahmen, war wahrscheinlich aufgeraucht, als sie in Bethlehem ankamen…

Ich muss ja zugeben – obwohl ich spirituell eher gleichmütig bin – dass von diesen monumentalen sakristalen Bauten ein Reiz an mich als Fotograf ausgeht. In der Stadt selbst will der Funke nicht so sehr überspringen. Aber in der Kathedrale kommt die Inspiration. Vielleicht ist ja doch was dran, an diesem heiligen Geist…

Auf jeden Fall ist das hier ein einziges Kunstwerk – mag man zur Entstehung stehen wie man will. Allein der Altar ist so gewaltig, dass sogar ich etwas Ehrfurcht verspüre.

Kolumbus soll hier begraben sein. Aber so ganz sicher sind sich die Historiker auch nicht – kein Wunder. Offensichtlich machte Kolumbus als toter Mann mehr Kilometer als als lebender. Jedenfalls haben sie ihm auch hier nochmal ein Denkmal errichtet – getragen wird er von vier Heralden aus den Königreichen, für die er tätig war.

Der Turm ist klasse. Es gibt keine Treppenstufen hoch sondern eine Art Rampe. Klasse vor allem für alle Touris, die mit Schläppchen oder Stöckelschühchen unterwegs sind. Hoch schaffen sie’s in der Regel noch ohne Gesichtsverlust. Aber runter – kläglich! Aber auch ich muss aufpassen, da die Cleats meiner Radschuhe unten rausschauen und die schnell mal rutschen auf glattem Gestein. Pferde sollten früher hier schnell hoch und runter kommen – deshalb keine Stufen.

Auf 70 Metern Höhe bietet sich ein toller Rundblick über die Stadt und in den Kirchengarten.

Akustisch drängen sich zwei ältere französische Herren auf, die sich unterhalten. Ich erkenne, dass man nicht ihre Sprache sprechen muss, um Menschen als oberlehrerhafte Dummschwätzer zu erkennen.

Am Ende meines Ruhetages kehre ich ziemlich erschöpft wieder nach Coria zurück. Carmen konnte ich nicht spüren, nur ihre Zigeuner-Kolleginnen versuchen noch heute, sich mit Handlesen etwas Geld zu verdienen. Wenn ich das nächste Mal in die Opernstadt komme, schaue ich nochmal in der Stierkampf-Arena nach. Schließlich hat Carmen das Festhalten an ihrer Freiheit dort mit ihrem Leben bezahlt.