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15. Juni 2009 – Williams Lake

Ich glaube, das war der anstrengendste Tag bisher. In den ersten 3 Stunden habe ich genau 33 km geschafft: hoch, runter, hoch, runter, steil! Am Fraser River entlang ist es zwar wunderschön, aber Radfahrers Paradies ist das nicht.

Ich überquere eine Brücke über den River und fahre auf der Williams Lake Road in Richtung des berühmten Stampede-Orts. Kurz vor dem Ort erwischt mich ein heftiges Gewitter. Ich weiß gar nicht wie schnell ich mich irgendwo unterstellen soll, und kann mangels Gelegenheit auch nicht. Schnell werfe ich meine Zelt-Unterlage über mich und das Rad und ducke mich ins schützende Dunkel. So etwas hatte ich bisher auch noch nicht: Der Wind reißt an der Plane, der Regen prasselt auf die Plane. Durch aufwärts spritzenden Regen werde ich von unten nass. Zum Glück ist nach circa 20 Minuten alles vorbei und die Sonne scheint wieder.

Ich nehme mir einen Zeltplatz direkt auf dem Gelände der berühmten Stampede. Das ist wohl ein großes Volksfest hier, verbunden mit Rodeos und sonstigen Rind- und Pferde-Veranstaltungen. Die Leute sind schon leicht nervös hier, da die Veranstaltung in zwei Wochen beginnt. Ich selbst bin ja kein Freund von solchen Volksbelustigungen auf Kosten von Tieren. Allein, wenn ich mir vorstelle, dass den Bullen die Hoden abgebunden und gequetscht werden, damit sie ordentlich springen, spüre ich schon einen Phantomschmerz an einer meiner empfindlichsten Körperstellen.

Die Stadt ist ebenfalls ein Verkehrsknotenpunkt und ein Zentrum der kanadischen Holzindustrie. Entsprechend laut ist es hier auf dem Zeltplatz. Aber damit kann ich gut leben, denn: es gibt keine Mücken! Endlich mal wieder in Ruhe Zelt aufstellen, umziehen, duschen, kochen, essen.

Mein Essen kaufe ich bei “Save on Foods”, einer großen kanadischen Lebensmittel-Handelskette. Die sind ähnlich hochwertig sortiert wie “Tegut” in Hessen, nur größer. In solchen Läden gehe ich gerne einkaufen: Man muss nicht suchen und vergleichen, kann einfach das, was im Regal liegt und worauf gerade Lust ist, in den Einkaufswagen packen, ohne die ganzen Inhaltsstoffe studieren zu müssen. Auch wenn das Image der Kanadier und Amerikaner bezüglich des Essens nicht allzu gut ist – an den Möglichkeiten, gutes Essen einkaufen zu können, liegt es nicht. Das meiste für den täglichen Bedarf gibt es auch in Bio-Qualität.

Schokolade und Erdbeeren treiben den Preis, den ich an der Kasse zu zahlen habe, in astronomische Höhen. 60 kanadische Dollar sind es schlussendlich. Egal, die Motivation, weiter in den Bergen zu radeln, ist momentan recht niedrig und da wird jede Aufmunterung gebraucht, insbesondere kulinarische.

Eins fällt mir beim Einkaufen immer wieder auf: Haribo können die Amis und Kanadier nicht. Sämtliche Gummibärchen, Weingummis, Lakritze und sonstige Weichzuckereien schmecken hier einfach nicht so gut wie bei uns. Dafür können Sie Farben. Lila Gummibärchen schmecken nach lila. Gelbe Gummibärchen schmecken nach gelb. Schwarze Gummibärchen schmecken nach schwarz. Keine Ahnung, wie die das hinkriegen.

Nach dem Essen gehe ich noch ein wenig spazieren und lege mich dann aber auch schnell ins Zelt. Die Motorbremsen der großen Trucks werden wohl den halben Zeltplatz heute nacht wach halten. Ohropax rein und gut. Morgen Abend ist wieder Wildnis angesagt.

Ich frage mich gerade, warum ich Alaska und Yukon der jetzt immer näher kommenden kanadischen Zivilisation bevorzuge. In British Columbia habe ich noch keine echten “Typen” gesehen, wie in Alaska oder Yukon. Typen, die irgendwie schräg sind. So ähnlich wie ich, nur anders. Hier ist alles ähnlich wie bei uns: Alle beschäftigt, Straßen voller, keine Rücksicht, kein Interesse mehr, keine echten Sympathien mehr wie im Norden. Ich bezweifele, dass mir Jasper- und Banff-Nationalpark wirklich Freude machen. Glaube, dass es mir mehr liegt, noch ein paar Touren in Alaska und Nord Kanada zu unternehmen. Vielleicht auch mal zu Fuß mit dem Rucksack.

Egal, jetzt werde ich das bis Vancouver durchziehen. Überhaupt: Dafür, dass ich solch eine Tour zum ersten Mal mache, komme ich erstaunlich gut klar. Obwohl ich noch zwei Wochen habe, plane ich schon die nächsten… Whitehorse – Klondike – Denali – Parks – Anchorage oder andersherum. Oder Fairbanks – Wonderlake – Denali – Klondike – Whitehorse. Oder Whitehorse – Klondike – Dempster. Alles so Drei-Wochen-Touren mit dem Rad. Mal sehen…

Meine wunden Stellen und die Mückenstiche werden jetzt noch mit dem abendlichen Dr.-Burt’s-Einreibe-Ritual versorgt. Das hat etwas zeremonielles, etwas heimeliges und sorgt dafür, dass ich mich von mir selbst versorgt fühle. Ich wünsche mir eine gute Nacht.

14. Juni 2009 – DEET gegen den Wahnsinn, Radfahrers Traum

Sonntag. Unmengen von Autos, Trucks und Motorhomes fahren in Richtung Barkerville. Alle überholen mich. In vielen sitzt Daddy mit Cowboyhut auf dem Kopf. Sohn auch.

Ich brauche nicht lange überlegen, bis ich umdrehe – zurück nach Quesnel.

Auf einem Bergabstück rolle ich mit gut fünfzig Sachen runter, als plötzlich hinter einer Kurve direkt vor mir ein Schwarzbär auf der Straße steht. Ich rufe, schreie ihn an – habe keine Lust auf Bremsen und Bären erschrecken. Zum Glück ist er scheu und rennt wieder in den Wald. Zum Glück sind diese Tiere wieselflink. Wenn man allerdings Mann gegen Bär steht, wird zumindest dieses Glück zum Pech.

In Quesnel überquere ich die Brücke über den Fraser River wieder und fahre rechts des Flusses über eine kleine Nebenstraße Richtung Süden. Auf der anderen Seite führt der Cariboo Highway am Fraser entlang.

Ist das herrlich. Die Straße ist fast autofrei und ich habe einen wunderbaren Blick links auf den Fluss und rechts in das hügelige Hinterland.

Nach gut zwanzig Kilometern überquere ich einen kleinen Bach und dann geht’s hoch. Ich meine: Richtig hoch. Ich ahne schon, was da auf mich zukommt…

Gleich an der ersten Steigung rutscht die Schaltung wieder durch. Das heißt: Absteigen und schieben.

Die ersten zwei, drei Stiche auf den Beinen lasse ich noch geschehen – während ich schiebe, kann ich den Lenker nicht loslassen, um die Moskitos zu erschlagen.

Es ist nicht mehr weit zur nächsten flacheren Stelle – da reicht dann der achte Gang der Rohloff zum Radeln und den Moskitos davonfahren.

Hinter einer Kurve dann die Serpentinen.

Oh Mann, ey! Lasst mich in Ruhe! Scheißviecher! Drecksmücken! Ich fluche, ich schreie sie an. Während ich schiebe. Es ist so steil, dass ich kaum schieben kann.

Ich schwitze unter meinem Hut mit Mückennetz. Ich japse nach Luft in der Hitze des Frühsommers. Meine Beine tun weh vor Laktatüberfüllung. Beide Hände sind am Lenker. Mein Oberkörper neigt sich bergauf, um das Rad zu schieben. Wenn auch nur eine einzige Hand den Lenker loslässt, fallen Rad und Fahrer einfach um.

Ich sehe sie starten und landen. Direkt vor mir auf meinen Armen. Ich fühle sie pieksen an Armen und Beinen. Ich schreie sie an, hoffend, dass die Schallwellen sie fortjagen. Ich schmeiße die Fuhre am Straßenrand ins Gras, hole mein DEET-Spray raus und sprühe mich ein. Sie haben’s geschafft. Was ich nie wollte, mache ich nun. Dieses Teufelszeug an meine Haut lassen. Aber es ist mir einfach nur egal. Schietegal. Extremschietegal. Ich lasse mir von diesen kleinen Viechern doch keine Psychose verpassen.

Und was soll ich sagen?

Es wirkt. Meine Beine, meine Arme sind ab sofort keine Landebahnen für fliegende Blutsauger mehr. Teuer erkaufter Frieden – ich will nicht wissen, was da jetzt mit meiner Hautflora und -fauna passiert.

Nach rund fünf Kilometern und gut dreihundert Höhenmetern erreiche ich ein Hochplateau, das mich für all die Strapazen entschädigt. Radfahrers Traum. Wunderbar.

Ich halte inne, schaue an meinen Beinen runter, sehe die Bissspuren und denke nochmal über diese Extremsituation von vorhin nach. Bemerkenswert, zu was der Mensch (ich) doch in der Lage ist (bin). Diese Schiebestrecke mit der Fuhre trotz Kraftlosigkeit ohne Pause mit dem Psychomückenterror bei der Hitze hochächzen – da kann man(n) in meinem Alter oben auch schon mal tot umfallen.

Ich denke noch nicht richtig zu Ende, da taucht wieder ein Schwarzbär vor mir auf. Steht auch wieder mitten auf der Straße – wie der von heute morgen. Ich rufe ihn an, er sieht mich und will in den Wald. Sein Problem und auch meins ist, dass da links und rechts am Straßenrand Zäune gezogen sind. Stacheldraht-Zäune. Der Bär rennt von links nach rechts nach links nach rechts und findet keine Lücke. Ich fahre langsam hinter ihm her. Nach sechs oder sieben Anläufen findet er dann wohl eine Lücke und verschwindet.

Am späten Nachmittag belohne ich mich mit einem wunderschönen Platz, an dem ich mein Zelt aufstelle. Direkt an einem Steilhang über dem Fraser River.

Mit zwei Litern Wasser aus den Aluflaschen dusche ich das DEET ab und fühle mich gut.

Das Schöne am Alleinsein in der Natur ist ja auch: Iss was Du willst (Knoblauch-Knolle), iss wie Du willst (schlürf, schmatz – was im Übrigen den Geschmack feiner macht), iss so viel Du willst (rülps) und mach einfach nur, wonach Dir gerade ist. Das genieße ich.

Nach dem Sonnenuntergang liege ich im Zelt und höre den Moskitos zu. Hört sich an wie ein Zweitakt-Motorrad-Rennen in Spa Franchorchamps. Da war ich mal, als Freddie Spencer noch unschlagbar war. Muss Anfang der Achtziger gewesen sein. Gut, dass die Viecher draußen sind und Hilleberg beim Zeltbau einen guten Kompromiss zwischen Mückenschutz und Lüftung gefunden hat. Wenn die Evolution diesen Viechern irgendwann mal Schneidwerkzeuge für Zelt-Mückennetze verpasst, gebe ich auf. Dann bleibe ich in Niedersachsen.