Juli 2021: Skagerak-/Kattegat-Umrundung

Eigentlich… Eigentlich wollte ich meine Freundin Carla besuchen. Sie wohnt in der Nähe von Göteborg. Normalerweise fährt von Kiel aus eine Fähre oder ein Flieger fliegt von Irgendwo in Deutschland schnell und billig.

Aber das will ich dieses Mal nicht. Ich will mit dem Rad nach Göteborg und da ich noch nie (bis auf einen Kurzbesuch im Winter und einen Marathon in Stockholm) in Skandinavien war, passt das gut. Dann fahre ich eben über West-Dänemark, Süd-Norwegen und Südwest-Schweden nach Göteborg und von da über Ost-Dänemark wieder zurück nach Deutschland.

Als ich meinen Söhnen das erzähle, berichten sie mir von meiner Abneigung gegen Urlaub in Dänemark, was für mich in der Tat zu der Zeit, als meine Kinder noch klein waren und alle nach Dänemark in den Familienurlaub wollten, irgendwie ein No Go war. Aber nun – Kinder dürfen erwachsen und Erwachsene noch erwachsener werden. Was soll ich sagen? Dänemark hat mir auf dieser Reise am besten gefallen.

Ich habe den Eindruck, dass hier der Team Gedanke eine große Rolle spielt. Die Türen sind offen, die Menschen freundlich, mein Fahrrad schließe ich gar nicht erst an, wenn ich in einen Laden zum einkaufen gehe. Vielleicht liegt es an der ländlichen Umgebung, vielleicht daran, dass es hier Touristengebiet ist – aber ich sehe so gut wie keine dunklen Gestalten auf den Straßen wegen derer ich mir um meine Habseligkeiten Gedanken machen müsste.

Die Landschaft und der Eurovelo 12 Radweg sind phänomenal. Die Kombination aus tollem Wetter, abwechslungsreicher Wegführung, Dünenlandschaft und gleißendem Meer Licht macht mich glücklich.

Etwas weiter im Landesinneren jedoch nerven, bedingt durch Schwüle und Hitze, die Regenbremsen. Kurze Pausen, geschweige denn mal ein Nickerchen, sind an den Waldrändern und an Wiesen, auf denen Vieh weidet, schlichtweg unmöglich. Selbst beim Pinkeln führe ich sanfte Tänze auf, um nicht beim Stillstehen Opfer dieser kriegerischen Aggressoren zu werden.

Man sagte mir, dass es verboten sei, in Dänemark wild zu zelten. Dafür gibt es viele Shelter. Das sind Plätze, die für Wanderer und Radfahrer vorbehalten sind, einfach ausgestattet und manchmal mit Plumpsklo und Wasserhahn aufwarten. Ich übernachte in der ersten Woche, in der ich es bis Hirtshals im Norden Dänemarks schaffe, zumeist in diesen Shelters und lerne dabei eine Menge toller Leute kennen. Da die Skandinavier zumeist echt gutes Englisch sprechen, ist Kommunikation überhaupt kein Problem.

Die Westküste Dänemarks ist zwar sehr touristisch geprägt und es gibt überall diese Ferienhäuser in den Dünen und Campingplätze mit Wohnwagen und -mobilen. Dennoch bietet die Küste auch einsame Stellen und landschaftlich mit die schönste Dünenlandschaft, die ich bisher kennen lernen durfte.

Norwegen enttäuscht mich. Reiches Land, reiche Leute. Öl und Gas und Fische – alles Schätze, für die die Leute nicht viel arbeiten müssen, die aber dennoch reich machen. Und gefühlt ziemlich arrogant. Damit sind natürlich auch die Lebensmittel, Hotels und vieles andere in Norwegen teuer. Macht mir selbst jetzt nicht viel aus, aber Norge ist kein Land für alle.

Wahrscheinlich muss ich irgendwann nochmal weiter in den Norden, um die Natur Norwegens und Schwedens zu erkunden. Hier unten jedenfalls ist es nicht schöner als im nordhessischen Bergland.

Wo ich schon mal bei völlig danebenen Vergleichen bin: Schweden an der Grenze zu Norwegen ist wie im Harz. Nur ohne Autos und größer. Also wesentlich angenehmer als Norwegen an der Grenze zu Schweden. Mein Eindruck.

Zurück in Dänemark gefällt mir Kopenhagen als Großstadt sehr. Wie können die dänischen Hauptstädter es sich erlauben, so breite Radwege zu bauen? Indem sie die Häuser luftig bauen. Hoch und mit viel Abstand zueinander. Kopenhagen macht Spaß. Und hier gibt es die besten Croissants außerhalb von Paris. In einer Bäckerei namens Bröd.

Mein Freund Scott und ich würden gerne einen Fahrradladen eröffnen, kombiniert mit einem Café, in dem Lesungen und Vorträge statt finden können. In dem Laden sollte es nur alte, klassische Rennräder geben mit einer kleinen Werkstatt – aber es sollte eher ein Museum mit An- und Verkauf sein. Nun finde ich in Kopenhagen zufällig genau einen solchen Laden, der unter anderem auch Rum-Exkursionen anbietet. Hach – Brüder im Geiste. Dort kaufe ich mir das teuerste Radtrikot ever. Wahrscheinlich im Zustand endorfiner Verblendung.

Ich genieße meine Reise – egal wo ich gerade bin. Das Wetter ist die kompletten drei Wochen, die ich unterwegs bin, absolut genial. Warm, trocken, sonnig. Während Deutschland einen echt verregneten Sommer erlebt, kann ich drei Wochen Genußradeln an Skagerak und Kattegat erleben.

Kurz vor der Grenze zu Deutschland fahre ich an Mirabellenbäumen vorbei. Ich wusste nicht, wieviele Arten und Farben es von diesem Obst gibt. Und auch wie verschieden die Arten schmecken. Ich esse, stecke mir die Trikottaschen voll, fahre weiter, esse, halte an, stecke mir die Trikottaschen voll, fahre weiter, esse, und so weiter. Und ich frage mich, warum die Mirabellen hier am Baum und drunter verrotten, während im nächsten Supermarkt italienische Äpfel und peruanische Heidelbeeren, aber keine dänischen Mirabellen angeboten werden.

A propos: Ich bin in den letzten drei Wochen durch drei skandinavische Länder gefahren, deren Währungen alle “Krone” heißen. Ich hatte nicht eine einzige Krone in der Hand. Mit dem Telefon konnte ich überall zahlen – selbst kleinste Beträge. Was vielen Menschen Angst macht, finde ich super bequem.

Unterwegs überlege ich, ein Buch zu schreiben. Ein ehrliches Buch, ein offenes Buch, in dem ich meine Gedanken schonungslos in bukowskieske Geschichten verpacke. Einfach mal alles rausrotzen, was mir so in den Sinn kommt.

Wenn ich frei denke, dann bin ich Chauvinist, Kapitalist, Marxist, Maskulinist, Rassist, Macho, Sadist, Intellektueller, Emphatist, Liebender, Geliebtwerdender, Sexist, Philosoph, Philantrop, Weltretter und Arschloch. Manchmal alles innerhalb einer Gedankensequenz. Mensch halt. Mann halt.

Ich werde ein Buch schreiben. Eine Sammlung von Geschichten. Nicht nur Reisegeschichten.

5 thoughts on “Juli 2021: Skagerak-/Kattegat-Umrundung

  1. Anonymous

    Klasse. Sehr radikale schonungslose Gedanken. Das riecht nach Freiheit. Danke für deine Gedanken und das du sie teilst. LG, Uwe.
    Hast mal vor ein paar Jahren ein Patria von mir gekauft…

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    1. joeyyy Post author

      Danke! Das Patria ist mein Lieblingsrennrad und wird bestens gepflegt. Es hängt bei mir zu Hause an der Wand und ist mittlerweile mit der 9fach Campagnolo Record Gruppe ausgestattet. Passend dazu Hoch Profil Felgen aus Carbon. Tradition trifft Moderne.

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