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26. Mai 2009

Leicht verkatert wache ich auf. Gut, dass ich mir mein Frühstück nicht erst erlegen oder sammeln muss. Selbst den Kocher aufstellen und bedienen wäre mir jetzt zu gefährlich. Das was dann zustande käme, wahrscheinlich kaum genießbar. Also gibt’s nochmal Kaffee und Muffins. Wer weiß wo ich morgen früh liege und was ich da frühstücken muss.

Nur mal so: Der Yukon ist vor meinem Zelt noch teilweise zugefroren...

Kalt ist’s draußen.

Ich sammel meine Dreckwäsche ein und gehe zu den Waschräumen. In den Waschbecken vor den Toilettengebäuden, die für die Wäsche gedacht sind, liegen Speisereste vom gestrigen Abend – nicht allzu appetitlich. Vielleicht wirken matschige Reiskörner und Ketchupreste ja desinfizierend im Trikot – in jedem Fall wäre die Wirkung berechenbarer als die allheilversprechende Nano-Technologie mit der Versilberung von Plastikfasern für unsere Haut.

Aber ich will hier keinen Feldversuch starten und wasche meine Wäsche kurz im Handwaschbecken des Toilettengebäudes durch. Für die Wäsche die geruchsärmere Variante, für die Nase nicht. Vor allem dann nicht, wenn einige der Zeltplatz-Gäste gestern abend ordentlich getrunken haben und nun auf dem Klo ihr “Coming-Out” zelebrieren.

Normalerweise wird das olfaktorische System beim Menschen alle 60 Tage erneuert, wobei alte Riechzellen absterben und durch neue ersetzt werden. Bei mir dauert das heute morgen genau die 10 Minuten, die ich hier im Klogebäude brauche, um meine Wäsche einmal kurz durchzuwaschen.

Ich hänge meine Wäsche an einer mitgenommenen 5-mm-Reepschnur auf, die ich zwischen zwei Bäumen gespannt habe. Dann gehe ich zur Rezeption, den Duft frischen Kaffees die neue regio olfactora streicheln lassend.

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Wenn ich morgens gleich nach dem Aufstehen schon irgendwas geleistet habe – egal ob Hausarbeit, Spanischlernen oder Sport – dann ist das Frühstück hinterher nicht nur Nahrungsaufnahme und Genuss sondern auch noch eine erste Belohnung. So fangen gute Tage an.

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Die Rezeption ist wie ein Taubenschlag. Hier gehen alle ein und aus, wollen zahlen, telefonieren, wissen wo der Rasenmäher steht, Post abgeben, kaffeetrinken, muffinsessen oder einfach nur quatschen. In Verbindung mit einem der netten Mädels hinter der Theke wähle ich die letzten drei Optionen. Eine Quebequoise ist sie, studiert irgendwas Marketing-mäßiges und zeigt sich erstaunt, dass ich sie auf die Animositäten zwischen den englischsprechenden Kanadiern und den französischsprechenden Kanadiern anspreche. Dass es Abspaltungstendenzen zwischen beiden Bevölkerungsgruppen gäbe. Ich erlöse sie aus ihrer Verlegenheit indem ich ihr ein wenig über die deutsche Wiedervereinigung erzähle, paradoxerweise verbunden mit Abspaltungstendenzen der Bayern und der Sachsen in Deutschland, der Südtiroler in Italien, der Korsen in Frankreich und der Basken in Spanien. Welche Volksgruppen zusammenkommen wollen, aber nicht dürfen oder auseinandergehen wollen, aber nicht dürfen. Und dass das manchmal zu heftigen Auseinandersetzungen – bis hin zu Kriegen – führen kann.

Irgendwie scheint das für sie ganz interessant zu sein, aber nicht aus ihrer schönen bunten Marketing-Welt. Ich wirke wohl wie Herr Oberlehrer und denke mir, dass es den Amis mit ihren ganzen Marken und den damit einhergehenden vereinheitlichten Produktqualitäten ja eigentlich auch völlig egal ist, ob eine Kleinstkultur sich von einer anderen Kleinstkultur abspaltet oder zwei zusammenkommen oder welche Kultur auf der Welt sie platt machen. Coca Cola und McDonalds sollen letztlich überall gleich schmecken, sozusagen Geschmack suprakulturell vereinheitlichen. Disney und Hollywood vereinheitlichen Märchenverständnis und Harley Davidson den Mythos von Freiheit. Pampers vereinheitlicht die Erstbehandlung von Kacke und Google die Berieselung mit Werbung. Monsanto löscht Pflanzenkulturen aus und Lockheed muslimische.

Vielleicht ist das ja sogar Frieden stiftend: Wenn wir auf der Erde alle nur noch ein einziges Verständnis von Kultur haben und somit nur noch eine einzige Kultur – warum sollten wir dann noch Kriege führen? Nicht Politiker sollten die Geschicke dieser Welt bestimmen, sondern die Chefs der großen Markenmultis! Die wissen was wir wollen, wie wir notfalls zum Glück gezwungen werden können. Was soll so ein armer Inder auch mit sauberem Wasser, wenn er doch viel einfacher an eine Coke gelangen kann und sich somit nicht nur selbst sondern auch noch eine Firmenzentrale in Atlanta beglücken kann? Win-Win-Situation nennt der Betriebswirt so etwas.

Huxley hat das 1932 schon hervorragend treffend beschrieben – wir werden zu “Stabilität, Frieden und Freiheit” gezwungen. Aber woher soll eine kanadische Marketingstudentin “Brave New World” kennen?

Ich glaube, jetzt habe ich den Eindruck extremvertieft: Ein Deutscher, der hierher kommt, um Rad zu fahren, während die Bären aus dem Winterschlaf erwacht sind, MUSS verrückt sein. Und dieser hier ist es definitiv.

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Micha und Flo sind jetzt auch wach. Gegen drei heute nacht haben sie dann per Internet und Skype einen Motorradladen irgendwo in Südhessen gefunden, der ihnen den Ketten-/Ritzel-Satz per Express nach Whitehorse schickt.

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Nochmal vorbei an der Klondike - heute mit Sonne

Ich mach mich auf den Weg, mein Fahrrad abzuholen. Unterwegs mache ich noch Halt im Visitor Information Center, um mir Infos über Straßenzustände und Waldbrände auf meinem Weg Richtung Süden zu besorgen. Vor den Kartenständern treffe ich Uwe, meinen Sitznachbarn vom Hinflug. Uwe stieg in Whithorse aus, während ich nach Anchorage weiterflog. Er ist regelmäßig im Sommer hier, hat seinen Pickup mit Wohn-Aufsatz bei Freunden stehen und hilft diesen dafür bei irgendwelchen Bauprojekten.

Zuletzt half er beim Ausbau der Takhini Hot Springs und die will er mir nun zeigen. Was soll’s – hole ich mein Rad eben später ab und bleibe noch eine Nacht in Whitehorse. Ich steige in sein Auto und wir fahren am Yukon entlang, biegen auf den Klondike Highway ab und kurz darauf in den Wald zu den Hot Springs.

Uwe erzählt mir von seiner Firma, die er in Deutschland verkauft hat und von deren Geld er jetzt lebt. Große Autos hatte er, Geld verprasst ohne Ende. Jetzt lebt er eher einfach, besinnt sich auf das, was das Leben wirklich schön sein lässt. Er möchte sein Wohnmobil noch fit machen, da seine Tochter demnächst hoch kommt – mit ihr will er den Dempster hochfahren, bis Inuvik. Zeigen will er ihr die Schönheit der Wildnis, über 700 Kilometer Schotterpiste, unterbrochen nur durch zwei Tankstellen. Näher kommen will er ihr. Wissen wie sie ist. Die Standard-Geschichte aufarbeiten: Hochzeit, Kinder, Karriere, Scheidung. Auf der Strecke bleibt die eben auch die Beziehung zu den Kindern.

Miles Canyon mit Robert Lowe Bridge

Ich denke an meine Tochter und bin ruhig. Sie ist jetzt vier – eine Woche nach ihrer Geburt habe ich sie das letzte mal gesehen. Vielleicht fahre ich mit ihr auch irgendwann mal den Dempster hoch. Wie ist das, wenn sich Vater und Tochter das erste Mal begegnen, wenn sie vielleicht schon in der Pubertät ist? Oder noch später? Wird sie die Entscheidungen, die Missverständnisse zwischen Vater und Mutter verstehen? Akzeptieren? Verarbeiten?

Die Hot Springs selber sind nett gemacht, eine familäre Athmosphäre umgibt die Anlage. Das warme, sprudelnde Wasser tut meinem Rücken gut – Uwe und ich sitzen im Becken nebeneinadner und schweigen eine Weile. Das ist ein gutes Zeichen: Reden kann man mit jedem, schweigen nur mit wenigen.

Hinterher schmeckt das Bier wieder und Uwe setzt mich nach einem Abstecher zum Miles Canyon später wieder in Whitehorse ab.

Vom Miles Canyon hat Whitehorse seinen Namen: Die Wellen der Stromschnellen des Yukon River sahen aus wie weiße Mähnen auf den Hälsen von Pferden. Im Miles Canyon selbst starben zu Zeiten des Goldrausches viele Menschen, die auf Booten und Flößen hier hoch kamen. Die Basaltsteine rechts und links an den Ufern ragen bis zu 20 Meter senkrecht aus dem Wasser und lassen ein Anlanden nicht zu. Wer da in den Stromschnellen kentert, ist verloren.

An den Wänden kam aus Stromschnellen niemand hoch - heute ist der Yukon gezähmt

Heute ist der Fluss gezähmt. Wär ja auch gelacht, wenn die Natur uns bestimmen wollte, wann wer stirbt. Ein paar Kilometer weiter flussabwärts haben sie einen Damm gebaut, um Whitehorse mit Strom zu versorgen und den Touristen eine Bootsfahrt auf dem Yukon zu ermöglichen. Wieder Win-Win.

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Bei Icycle hat Jack persönlich mein Rad wieder repariert – es soll jetzt zwischen den einzelnen Speichen des Hinterrads keine 2% Torsionsspannungsunterschied mehr geben. Ich weiß zwar nicht, ob das so sein muss, aber es hört sich einleuchtend an. Ich frage Jack nach einer Ersatzspeiche mit Nippel – grinsend zeigt er auf zwei Stück, die er schon mit Isolierband an den Rahmen geklebt hat. Pfiffig drauf, der junge Kerl. Es macht Spaß, mit Profis zu arbeiten.

Ich zahle und frage, ob es eine Kaffeekasse gibt. Mit diesem Begriff kann Jack nichts anfangen und ich versuche dieses Stück deutsche Kultur zu erklären. Er versteht nur, dass das eine Büchse für Trinkgeld sein muss. Ich lasse es gut sein – wahrscheinlich wird in deutschen Radläden alles mögliche aus der Kaffeekasse bezahlt, nur kein Kaffee. So gebe ich einfach noch etwas “Tip” und fahre wieder zum Zeltplatz.

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Unterwegs sehe ich auf einer Eisscholle mitten auf dem Yukon zwei Weißkopfseeadler – sich um einen Fisch streitend. Eine halbe Stunde lang beobachte ich dieses Schauspiel. Leider habe ich nur ein 85-mm-Objektiv dabei und es wird langsam dämmrig. Gute Bilder kann ich so also nicht schießen.

Totzdem halte ich einfach mal drauf.

Amerikanische Wappentiere im Clinch

Whitehorse Central Station

Gegen 23 Uhr bin ich wieder am Zelt und entscheide, mich gleich schlafen zu legen – morgen früh geht’s mit dem Rad weiter.