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20. November 2011 – Eine Landschaft, zum Sterben schön

Ich schlafe schlecht, das Haus ist sehr laut. Ich nehme die Ohropax aus den Ohren und höre Sturm und Regen. Ich stecke die Ohropax wieder rein und drehe mich nochmal um.

Gegen halb acht sind Karla und ich dann beide wach. Ein Blick aus dem Fenster (unser Zimmer ist fensterlos – ich muss raus und aus dem Flurfenster schauen) verheißt nichts Gutes: Regen, Wind, Kälte.

Für’s Frühstück werfe ich wieder den Kocher an, es gibt heißen schwarzen Tee, Oliven, Brot.

Auf der Straße dann entscheiden wir, nochmal in eine Teestube zu gehen, um die hellen Flecken oben am Himmel abzuwarten. Vielleicht bedeuten Sie ja, dass der Regen aufhört. Außerdem würden wir uns beide über eine süße Abwechslung unserer Morgen-Ernährung freuen.

In der Teestube, über der zwar “Patisserie” steht, in der es aber – außer frischem Brot – keine Backwaren gibt, werden wir freundlich begrüßt. Es sitzen ausschließlich Männer um die Tische und trinken Tee.

Als Karla und ich dann bedient werden und frühstücken, verlassen die Männer nach und nach die Stube und setzen sich draußen hin – in die Kälte und den Wind.

Wir beide fragen uns, ob sie das wegen Karla tun. Sie trägt schließlich kein Kopftuch und tritt ziemlich selbstbewusst auf.

Die hellen Flecken am Himmel bedeuten jedenfalls nicht, dass es aufhört zu regnen. Wir beschließen, jetzt loszufahren.

Von Irghem aus geht es Richtung Süden erstmal bergab. Mit jedem Höhenmeter runter wird es spürbar wärmer. Irgendwann hört dann auch der Regen auf. Und die Sonne findet immer wieder Wolkenlücken, durch die sie die Landschaft wie mit einem Bühnen-Scheinwerfer anstrahlt.

Dann fängt es mal wieder an zu regnen. Der Regen lässt die Bergstrukturen glitzern, als seien sie mit Silber überzogen.

Da es jetzt nicht mehr so kalt ist, macht es mir überhaupt nichts aus, im Regen zu fahren. Im Gegenteil – es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass die Sonne gleich wieder rauskommt und mich trocknet.

Und weil sich Sonne und Regen abwechseln, gibt’s auch schon mal Regenbögen. Rechts neben uns dicke Wolken mit Regen, links die Sonne. Zwei Kilometer weiter ist’s andersrum. Toll.

Heute scheint irgendwie insgesamt der Tag der Landschaft zu sein. UNBESCHREIBLICH!!!

Diese Farben, diese Formen, diese Komposition – grandios. Die Berge sind wunderbar konturiert – sie wirken wie vertikal geschichtet.

Die Weite dieser Landschaft lässt mich über meine Endlichkeit nachdenken. Nein, ich bin nicht morbide oder krank oder mürbe oder erschöpft – aber mir kommt ad hoc der Gedanke: Hier könnte ich sterben – und es wäre gut. Dieses Gefühl hatte ich bisher nur auf dem Aletschgletscher in der Schweiz. Schön, dass sich meine Auswahl jetzt verdoppelt hat.

Mit dem Wind macht sich die Nähe der Wüste bemerkbar. Sand wird durch die Luft geblasen. Der Wind ist so heftig, dass ich fast und Karla tatsächlich von der Straße geweht wird. Im Straßengraben müssen wir Zuflucht vor dem jetzt entwickelten Sandsturm suchen. Karla hat Sand unter ihren Kontaktlinsen und muss sie rausnehmen. Das funktioniert aber irgendwie nicht – vor allem nicht, wenn der Sand von allen Seiten kommt. Ich ahne, was es bedeuten muss, in einen richtigen und andauernden Sandsturm zu geraten.

Nach rund einer halben Stunde ist der Spuk zunächst vorbei und wir können weiterfahren. Der Wind ist zwar immer noch stark, er weht aber nun von hinten und drückt mich mit knapp 50 Sachen auf der Geraden in Richtung Tata. Karla lässt es ruhiger angehen, ich finde das total klasse und trete gut mit.

In der Zeit, in der ich auf Karla warte, kann ich immer wieder die Kamera aus der Lenkertasche holen und mich auf diese mir unbekannten Motive konzentrieren. Eine einzige Akazie – mitten in der Steinwüste hier. Warum nur sie? Wo sind die anderen? Warum genau hier?

Wir brauchen noch Essen für heute abend und schauen in einem Dorf an der Straße nach einem Laden. Fehlanzeige. Das Dorf wirkt wie ausgestorben. Ich schiebe mein Rad in Richtung Moschee und kann eine Frau beobachten, die des Weges geht. Als sie mich sieht, versteckt sie sich schnell.

An den Türen der Häuser sind die typischen Berber-Zeichen als Ornamente angebracht.

Gegen fünf erreichen wir das Oued Tata, ein normalerweise ausgetrocknetes Flussbett, das aber durch den Regen der letzten Tage Wasser führt und die hiesige Oase mit dem Nass versorgt.

Hier finden wir einen wunderschönen Zeltplatz direkt am Fluss, kochen uns Couscous mit frischen Zwiebeln und Paprika und genießen die absolute Stille der Gegend und vor allem den schwarzen Himmel mit einem Sternenbild, das ich schon ewig nicht mehr gesehen habe.

Selbst die Milchstraße ist wunderbar zu erkennen – bei uns in Europa ist das wegen der “Lichtverschmutzung” durch die Städte kaum noch möglich.

Ich schaue nochmal auf meinen Tacho: 28er Schnitt über den Tag. Eigentlich viel zu schnell für diese Landschaft. Und das sage ich als Radfahrer…