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2. April 2012 – Montezuma rächt sich

Um Mitternacht ist mir schlecht.

Leo auch.

Er muss kotzen. Ich überlege, ob ich auch kotze. Lasse es und warte ab. Mit einem Scheißgefühl im Bauch, wissend, dass ich eigentlich besser rausgehen müsste. Aber vor der Erleichterung ist ja immer dieses Gefühl, den Finger in den Hals stecken zu müssen und dann die Magenkrämpfe zu erleben, die den bitter säuerlichen Brei nochmal über die Geschmacksrezeptoren heben. Nein, ich nicht. So schlecht geht’s mir dann wohl doch nicht.

Leo ist erleichtert, sagt kaum ein Wort.

Irgendwann in der Nacht muss er nochmal raus. Ich denke an diese jetzt ekelige Erdnusspampe, die wir aßen und überlege ob ich nicht doch auch raus gehe. Aber es scheint ja nicht zu helfen, Lennart ist’s immer noch schlecht. Dann liegt das wohl nicht an der Erdnusspampe sondern an den Tomaten, die wir am Nachmittag ungewaschen aßen. Keime also. Na dann: Montezumas Rache. Ich werfe zwei Kohletabletten ein und gebe Lennart auch zwei. Allerdings: Wenn wir kotzen gehen, sind die wieder draußen. Egal. Rein damit.

Die Nacht ist für uns beide der Horror. Wir stöhnen beide vor uns hin, dösen ein, wachen wieder auf und so weiter. Immer schön im Wechsel.

Irgendwann wird es hell, aber an Weiterfahrt ist nicht zu denken. Der Himmel hat aufgeklart, keine Wolke am Himmel, kein Regen zu erwarten. Wenigstens etwas.

Allerdings gibt es hier, wo unser Zelt steht, keinen Schatten. Die Sonne erhitzt das Zelt schnell auf gefühlte vierzig Grad. Ich gehe raus aus dem Zelt, nehme mir meine Isomatte mit und lege mich an ein Gebüsch, das zumindest nur einen Teil der Sonnenstrahlen durchlässt. Leo kann nun in der Zeltapsis liegen und den Schatten des Eingangs nutzen ohne drinnen gegart zu werden.

Uns geht es immer noch dreckig und es wird wärmer. Und wärmer. Wir werfen uns wieder Kohletabletten ein, ich merke jetzt, dass ich das muss, was die Mediziner in ihrer höflich sachlichen Sprache “Stuhlentleerung von herabgesetzter Konsistenz” nennen. Zum Glück haben wir eine ganze Rolle Klopapier in der Lenkertasche.

Das Essen von gestern ist nun sowohl von Leo als auch von mir nur dürftig verdaut im Gebüsch versteckt.

Nach drei weiteren Gebüschgängen ist es nun Mittag und wir müssen hier aus der Sonne raus, da das Gebüsch nun gar keinen Schatten mehr bietet.

Es geht uns leicht besser, aber fit sein ist anders. Wir packen unsere Sachen in kontemplativer mechanischer Trägheit. Sagen nichts. Leo sieht nicht gut aus. Ich frage ihn ob er meine Radschuhe letzte Nacht anhatte, denn in der Apsis liegen sie nicht mehr. Er antwortet mit “Nein” und sucht seine Packtasche. Die mit seinen Klamotten drin.

Wir schauen uns an, um, wieder an. Geklaut. Aus der Apsis raus. Eine Radtasche mit T-Shirts, Radhemden und sonstigen Wäschestücken sowie ein paar Radschuhe mit Klickies drunter. Geht das überhaupt? Wer klaut sowas und lässt dafür die unabgeschlossenen Fahrräder stehen?

Das müssen die Bauern gewesen sein, die hier gestern abend schon vorbeigingen und die auch heute morgen recht früh schon unterwegs waren. Da muss wohl einer von denen einen Moment abgepasst haben, in dem Lennart und ich ausnahmsweise mal schliefen. Aber die Apsis war doch zu, der Zelteingang verschlossen! Wahrscheinlich hat der Dieb einfach drunter gegriffen und sich das raus geholt was greifbar war.

Nun, ich muss jetzt mit Adiletten auf Klickpedalen fahren und Leo und ich müssen uns nun meine Unterwäsche und T-Shirts teilen.

Hier in Kuba haben gute Schuhe eine große Bedeutung. Deshalb bin ich auch gar nicht so sauer. Für den neuen Besitzer sind meine Radschuhe ein kleines Vermögen. Wenn der die Stahl-Cleats drunter abschraubt, hat er ein paar gute Wander- und Arbeitsschuhe. Die Bauern hier laufen mit Gummistiefeln rum, die zumeist mit Fahrrad-Flicken beklebt sind, um Gebrauchslöcher wieder zu schließen. In den Bodegas gibt es schlichtweg nur Gummistiefel zu kaufen und in den Läden der Städte sind Schuhe so teuer, dass sie sich ein einfacher Mensch kaum leisten kann. Außerdem ist die Qualität der Schuhe aus heimischer oder chinesischer Produktion einfach nur miserabel.

Also: Leos Klamotten und meine Schuhe sind unfreiwillige Entwicklungshilfe, sie haben für ihre neuen Besitzer einen extrem viel höheren Wert als für uns.

Eine der Ikea-Taschen funktionieren wir zu Lennarts neuer Packtasche um – geht. Jetzt müssen wir noch das Schuh-Problem lösen. Wir sammeln Fakten: Ich habe ausschließlich Klickpedalen – sind mit Leichtsandalen nicht zu fahren. Die einzigen Schuhe, die ich jetzt allerdings noch habe, sind Leichtsandalen. Lennart hat Wechselpedale, das heißt: Er kann sowohl mit Klickpedalschuhen als auch mit Normalschuhen fahren. Und Lennart hat keine Leichtsandalen sondern noch Sportschuhe mit. Was uns fehlt, ist ein Fünfzehnerschlüssel, um die Pedalen umzuschrauben. Mein Rad ist für Lennart eine Kleinigkeit zu groß. Lennarts Radschuhe sind mir eine Kleinigkeit zu eng. Lennart kann mit seinen Sportschuhen sein Rad fahren.

Wir entscheiden: Ich ziehe Leos Radschuhe an, fahre weiter mit meinem Rad, Leo fährt mit seinen Sportschuhen sein eigenes Rad. So wird’s gemacht.

Wir fahren los – die Disharmonie unserer Darmfloren lässt nur ein Ziel zu: Das nächste Casa Particular. Unser Problem ist nur: Wir sind hier im landwirtschaftlichen Nutzgebiet der Insel. Touristen verirren sich selten hier her und daher gibt es auch kaum Hotels oder Casas.

Nach 20 Kilometern auf der Carretera Central machen wir Pause an einer Bushaltestelle. Die Bänke sind aus Stein, das Dach wirft Schatten auf die Bänke, wir werfen unsere Isomatten auf die Bänke und es dauert keine fünf Minuten bis wir einschlafen.

Eine Stunde Schlaf kann so gut tun!

Leos Fahrrad mit neuer Satteltasche

Mein Durchfall meldet sich wieder, ich werfe nochmal eine Kohletablette ein. Wir suchen jetzt ein Casa, fragen nach, werden geleitet, kommen an, werden abgewiesen. Beim zweiten Casa das gleiche Spiel. Was ist hier los? Wir sind jetzt in der Nähe der Autobahn – an einer Raststätte trinken wir Cola, um unsere Flüssigkeits-, Zucker- und Mineralhaushalte wieder zu stabilisieren. Der Geruch von Gegrilltem und der Anblick dicker mampfender Fernfahrer auf der Veranda der Raststätte begrenzt unseren Genuss.

Nach weiteren vierzig quälend langen Kilometern finden wir in Santa Cruz de los Pinos ein Casa, nachdem wir mindestens drei vorige angesteuert und abgefragt hatten.

Dafür sind die beiden älteren Leute, denen das Haus gehört, sehr besorgt um uns. Wir können erst um acht in unser Zimmer – bis dahin sei es besetzt, sagen sie. Aber dafür richten sie die Veranda für uns ein und wir fallen ziemlich matt auf die in Kuba verandaobligatorischen Schaukelstühle. Unsere Wäsche können wir zum Waschen abgeben, unsere Gastgeberin serviert uns eine Karaffe mit kaltem verdünnten Guarapo, in dem Eiswürfel schwimmen.

¡Hombre, que día!

Aber jetzt geht’s uns wieder gut.