19. November 2011 – Raus in die Landschaft, rein ins Herz

Morgens bewundere ich nochmal die Ausstrahlung des Hotels – für mich ist das Ambiente ja neu. Was in Deutschland immer so kitschig wirkt, ist hier passend. Auf eine bestimmte Weise attraktiv. Die ganzen Verschnörkelungen, Verzierungen, Ornamente an Türen, Teppichen, Wänden, Decken, Griffen, und so weiter sind so ganz anders als der nüchtern-sachliche Bauhaus- und Moderne-Stil der deutschen Wohnweise.

Nach einem petit dejeuner mit Pulverkaffee geht’s weiter. Ich glaube, hier in Marokko ist es besser, Tee zu trinken.

Erst jetzt, nachdem wir aus dem Ort wieder rausfahren, fällt mir auf, dass Taroudant eigentlich eine Art Festung ist – die Stadtmauer ist mächtig und umschließt über rund sieben Kilometer das komplette historische Zentrum.

Ein Stück noch auf der viel befahrenen Hauptstraße, dann biegen wir ab Richtung Irghem und Tata. Die Frau aus dem Hotel in Taroudant versuchte mir die Aussprache von Irghem beizubringen: Irr-Rramm. Normalerweise kann ich gut nachsprechen, aber arabisch oder berber ist schon noch schwieriger als spanisch oder französisch. Zumal die in der Karte geschriebenen Worte mit lateinischen Buchstaben häufig nichts mit der Aussprache in arabisch zu tun haben.

Am Abzweig, der unbeschildert ist, frage ich nach dem Weg nach Irr-Rramm. Die Aussprache-Übungen bewähren sich, man versteht mich und weist den richtigen Weg. Wir fahren durch einen “Brutzel”-Stadtteil von Ait-Yazza (keine Ahnung wie das ausgesprochen wird): Eine Werkstatt nach der anderen. Eine Konstruktion vor den Werkstätten abenteuerlicher als die andere. Es riecht signifikant nach Schweißen. Alle möglichen alten Mofas und Peugeots stehen oder hängen in den dunklen Werkstätten. Hier wird nichts weggeworfen, hier wird auseinander- und wieder zusammengebaut und -geschweißt. Und bestimmt ist das alte Motobecane-Mofa hier vorn bald Teil des 504er Peugeot-Pritschenwagens da hinten. Hauptsache, die Dinger fahren und transportieren.

Ich überlege, ob ich der Universität von Hannover empfehle, die Maschinenbau-Studenten nicht mal auf ein Praxissemester nach Ait-Yazza zu schicken. Man könnte garantiert voneinander lernen.

Jetzt wird es bald wesentlich ruhiger. Vor uns sehen wir schon die Berge des Anti-Atlas. Die Landschaft ist karg. Auf den roten Schotter-Flächen stehen immer einzeln alte und junge Akazien. Dazwischen suchen Schafe und Ziegen die letzten grünen Pflanzen. Einige der Ziegen klettern dafür auch in die Bäume – skurrile Bilder.

Die Menschen hier sind sehr freundlich. Egal ob jung oder alt – die meisten winken uns zu. Es gibt auch viele Fußgänger auf den Straßen außerhalb der Orte – für ein wohlmeinendes “Salam” ist immer Zeit und Gelegenheit. Kleine Kinder winken und freuen sich, so dass mir das Herz aufgeht. Das kenne ich gar nicht mehr und erinnert mich an meine Kindheit, als ich – an der Straße stehend – immer den Autos der nahen Straßenmeisterei zuwinkte und die Männer auf dem Bock dann das Blinklicht zum Gruß einschalteten. Also winke ich hier den Kindern zurück und freue mich auch. Wenn Frauen irgendwo vor den Häusern hocken oder stehen und ich winke (sie selbst tun es von alleine nicht), zaubert es ihnen ein wunderschönes Lächeln auf’s Gesicht.

Die Orte, an denen wir jetzt vorbeifahren, fügen sich harmonisch in die Berglandschaft ein. Auch dadurch, dass Häuser und Landschaft gleichfarbig sind, habe ich häufig das Gefühl, sie schmiegen sich an die vorgegebenen Konturen an.

In irgendeinem dieser Orte testen wir dann die Art und Weise, hier einzukaufen. Diese kleinen Läden, die meistens mit einem Coca-Cola-Schild gekennzeichnet sind, sind Teehaus, Treffpunkt, Arbeitsplatz, Betstätte, Supermarkt und Geldwechselstube in einem. Gemäß dem uns empfohlenen Prinzip “Erst verhandeln, dann kaufen” fange ich an, den Preis einer Flasche Wasser und eines Fladenbrotes zu erfragen. Der Verkäufer schaut mich fragend an. “Quelle prix?” frage ich nochmal. Keine Reaktion. “Zwei Flaschen Wasser und zwei Brote von denen da bitte.” sage ich auf französisch. Das wird verstanden und umgesetzt. Dazu kaufe ich noch 200 Gramm Couscous, 100 Gramm Mandeln, 100 Gramm Erdnüsse sowie 100 Gramm von irgendwelchen Sesam-Kräcker-Kugeln.

Der Händler fängt an, wild auf seinem Taschenrechner herumzutippen, schreibt dann alles nochmal auf einen Zettel und zeigt mir die Zahl. 20 Dirham.

Jetzt will er wissen, wo wir herkommen und wo wir hinwollen. Ich erkläre, dass unser wichtigstes Ziel Rissani sei. Darauf läd er uns erstmal zu einem Tee ein. Er platziert zwei Stühle in seinem dunklen Laden und wir sitzen somit an einem Tisch, der mit trocknenden Datteln belegt ist. Probieren sollen wir sie, diese Palmenfrüchte. Lecker. Echt lecker.

Während wir Tee trinken erklärt er uns verschiedenste Wege, die alle nach Rissani führen sollen. Er malt auf einen Zettel -zig Straßen und Namen, erklärt auf französisch und arabisch und Karla und ich schauen uns an und fragen uns, was er da eigentlich erzählt.

Nach ungefähr einer halben Stunde ist der Tee ausgetrunken, der Zettel vollgemalt, der Bauch voll mit Datteln und wir wollen weiterfahren. Der Abschied ist herzlich, ich schaue mir das Gestik-Ritual für Grüße zwischen Männern an und mache es nach. Nach einem mittelfesten Händedruck wird die rechte Hand nochmal zum Herzen geführt, während man sich verbeugt.

Der Himmel zieht sich gegen abend zu und wir kommen zu unserem Tagesziel Irghem.

Das ist ein ziemlich dreckiger Ort. Durchgangsort, Kreuzungsort. Und komplett ohne Frauen. Jedenfalls sehe ich keine. Vielleicht ist er deshalb so dreckig.

Durch die Erfahrungen mit dem netten Hotel aus Taroudant ermuntert und wegen des aufkommenden Regens nehmen wir ein Hotel, das von außen ganz annehmbar scheint, ohne vorher die Zimmer zu besichtigen. Das rächt sich schnell. Zimmer, Dusche, Klo – alles ekelhaft schmuddelig. Manchmal komme ich aus Zeitgründen zuhause auch für eine oder zwei Wochen nicht dazu, zu putzen. Wenn ich den daraus resultierenden Zustand meiner Wohnung mit dem Zustand dieses Hotels vergleiche, haben die hier seit zirka dem Bau dieses Hauses nicht mehr geputzt. Kakerlaken gibt’s nur deshalb nicht, weil es hier so kalt und normalerweise trocken ist. Und dann soll die Butze auch noch 200 Dirham kosten.

Na ja – wir packen unsere Schlafsäcke und Isomatten aus und werden uns wohl hier auf dem Zimmer mit dem eigenen Kocher ein Abendessen zubereiten. Ein Kellner kommt unaufgefordert und ohne Klopfen ins Zimmer (Schlüssel gibt es nicht) und fordert das Geld. Ich gebe ihm die 200 als einen Schein. Nach fünf Minuten kommt er wieder und gibt mir 140 zurück. Ich kapiere das nicht, frage aber auch nicht. Wir kochen uns eine Mischung aus Reis und Haferbrei.

4 thoughts on “19. November 2011 – Raus in die Landschaft, rein ins Herz

  1. Thomas

    Jörg, zum unerwarteten Wechselgeld; das Phänomen würde ich vielleicht so erklären:
    Die Bude kostet wahrscheinlich eigentlich (für Einheimische) regulär nur 60 Dirham,
    aber beim ‘Weissen Mann’ gibt’s halt einen spontanen Aufschlag.
    Dumm nur, wenn das mit dem Personal nicht abgesprochen ist !
    Ich hätte wahrscheinlich auch nicht nachgefragt !
    ( ist bekannt, ob der Kellner seinen Job noch hat … ? 😉
    Mach weiter so mit Deinen Berichten – gehören zu den Besten !

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  2. H.Peter

    Das Hotel in Irghem hab ich auch “genossen”, wenns das erste von Norden kommend war. Es gibt noch ein zweites dieser Kategorie oben im Zentrum.
    Zu den vermeintlichen Akazien. Es sind Arganbäume, die vor allem in der Sousse Ebene vorkommen. Die Kerne der Arganfrüchte werden zum edlen Arganöl verarbeitet.
    Ich freue mich auf deine Fortsetzungen.

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    1. joeyyy Post author

      …ja, war es. Danke für den Hinweis mit den Bäumen. In Fauna bin ich besser als in Flora – war eigentlich schon stolz, dass ich nicht einfach nur “Baum” schreiben musste. Aber Du hast Recht: Die Ziegen fressen die Argan-Früchte, in Akazien habe ich sie nicht gesehen. Aber Akazien gibt es in Marokko auch haufenweise – man muss aufpassen, dass man nicht über abgerissene Äste und die spitzen Dornen fährt.

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  3. vera

    Hi hi ich kenne solche Situationen..wenn auch aus Asien…es ist erstaunlich was man alles verträgt wenn es keine großen Alternativen gibt? Ich finde das immer sehr befreiend…. man braucht eben nicht viel…. das ist doch eine gute Nachricht hier im Konsumschlund der ersten Welt…..

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