8. April 2012 – Lazy Day

Heute ist Ruhetag. Ausschlafen, Bars besuchen, Mojitos trinken, Musik hören, essen, essen, essen.

Während Leo versucht, einen ihm gefallenden Ersatz für seine geklaute kurze Hose zu finden, setze ich mich auf irgendeine Bank auf irgendeinem Platz und beobachte einfach nur die Leute. Es ist Siesta-Zeit. Hier schlafen die Leute auch schon mal ein. Auf der Bank. Wenn sie es dann zulässt und nicht völlig kaputt ist. Ein junges Päärchen mit Kind und Oma setzt sich mir gegenüber. Die Typen sind echt cool. Grellblaue Nike-Turnschuhe mit Zehnzentimeter-Hacken. Sowas habe ich selbst in Deutschland noch nicht gesehen.

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Nachdem das Päärchen ihr Kind gefüttert hat und weitergeht, setzen sich zwei Kumpels auf die Bank. Auch cool. Was für die junge Mutter die Schuhe waren, ist für den einen Kumpel sein Bauch. Statussymbol. Das so zu zeigen habe ich in Deutschland ebenfalls noch nicht gesehen.

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Leo kommt und wir gehen wieder durch Havanna. Diesmal ohne die Sehenswürdigkeiten sehen zu müssen. Damit wird der Geist frei für das Hier und Jetzt. Das Herz ist offen für die Stimmungen der Stadt, der Stadtteile, der Straßen und Plätze. Wir bleiben immer mal wieder stehen und hören den Musikern zu, die hier allerorten spielen.

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Die meisten von denen sind echt gut. In einer Bar zu sitzen oder draußen im Garten, einen Mojito zu trinken und der Musik zu lauschen, macht die über achtzigjährigen kubanischen Musiker Ibrahim Ferrer, Joseíto Fernández und Compay Segundo aus dem Buena Vista Social Club wieder lebendig.

Ich glaube, dass Havanna, wenn irgendwann mal – wie auch immer – das Geld zurückkommt nach Kuba, in einigen Jahrzehnten eine der schönsten Städte der Welt sein wird. Natürlich dominieren momentan noch Dreck, Durcheinander, Gestank und Lärm das Leben hier. Aber man darf das nicht mit Chaos, Konfusion oder Gesetzlosigkeit gleichsetzen. Lennart und ich fühlen uns hier sehr sicher – auch wenn wir abends im Dunkeln durch die Straßen gehen.

Selbst hitzigste Diskussionen erleben wir zwar emotional, aber immer wertschätzend. Die Gestik der Kubaner ist so heftig, dass wir manchmal den Eindruck haben, sie würden sich gleich schlagen. Aber genauso schnell, wie die Emotionen hochkochen, flauen sie auch wieder ab.

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Heute abend kaufen wir uns in einem Estanco (eine Art Kiosk) eine kleine Flasche Rum, Cola (die kubanische natürlich) und Limettensaft. Wir stecken unseren Einkauf in den Rucksack und schlendern zum Malecon, Meeresrauschen und Stadtstimmung genießen.

Auf dem Weg durch die Gassen können wir ein paar Jungen beim Fußballspielen zuschauen. Lennart würde gern mitspielen, aber ihm tut das Knie noch weh. Die Beschuhung der Jungs ist spannend. Manche spielen mit normalen Straßenschuhen, manche mit Sportschuhen, manche mit Strümpfen. An einem oder beiden Füßen.

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Und Spaß haben sie alle. Wie wir früher in den Straßen unserer Kleinstadt auch. Heute sehe ich das in Deutschland nirgendwo mehr. Jedenfalls nicht auf den Straßen mit selbstgebauten Toren, selbstgestellten Regeln und selbstgemachten Bällen.

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Am Malecon setzen wir uns auf die Mauer und schauen in den Sonnenuntergang.

Gläser oder Becher haben wir nicht, wir öffnen die Cola-Dosen, trinken einen großen Schluck ab und füllen die Dose dann mit Limettensaft und Rum wieder auf. ¡Viva Cuba Libre! Wir stoßen an auf die Befreiung Kubas von der spanischen Kolonialherrschaft. Und von der amerikanischen. Und auf unsere Befreiung von allem was uns einengt. Zumindest jetzt.

Es dauert nicht lange, bis eine Kubanerin auf uns zukommt und uns anspricht. Ob sie sich neben uns setzen dürfe, fragt sie. ¡Claro que sí! Es ist ja auch wunderbar warm auf der langen Kaimauer, die den Sonnenschein des Tages eingefangen und eingespeichert hat. Aber Maria ist dennoch kalt. Wir bieten ihr einen ordentlichen Schluck unseres gerade gemixten Heizgetränks an – aber sie möchte keinen Alkohol. Dann kriegt sie eben eine eigene Büchse Cola pur. Wir nehmen sie auf in unseren abendlichen Malecon-Longdrink-Club und beginnen eine allgemeine Unterhaltung. Sie scheint Mitte dreißig zu sein und sieht ganz hübsch aus. Wohnt irgendwo draußen, Richtung Osten an der Küste, wartet auf ihren Bus.

Wir quatschen halt so drauf los über alles Mögliche. Das Übliche. “¡No es fácil!” – aber ich möchte nicht tauschen.

Der Inhalt des Gesprächs verblüfft mich weniger als vielmehr die Lockerheit, mit der Maria auf uns zukommt und mit uns redet. Vielleicht spielt da auch ein wenig Mann-Frau-Kiste mit rein, aber allein die Tatsache, dass ich mit Leo hier sitze und Maria von ihrer Tochter erzählt, belohnt auch unsere Offenheit. Klar – einige Jungs haben uns schon gefragt, ob wir “Chicas” wollten und einige Chicas selbst fragten uns auch bereits, ob wir nicht “Liebe” kaufen wollten. Aber das ist hier und jetzt kein Thema.

Nach einer halben Stunde geht sie zu ihrem Bus.

Leo und ich überlegen, was so besonders ist an dieser Stimmung hier. Der Offenheit, Lockerheit, Unaufgeregtheit. Und was uns davon abhält, das mitzunehmen – nach Hause. Wir nehmen es ja mit. Inspiration, Erinnerung, Gefühl. Es ist nicht wichtig, was ich erlebe, sondern wie ich es erlebe. Und das hängt ab von meiner inneren Haltung und Einstellung zu mir selbst und zum Leben. Und nicht von äußeren Einflüssen. Wenn ich in mir locker bin, werde ich Lockerheit sehen und erleben und das Leben bietet mir Flexibilität. Wenn ich fest bin in meiner Haltung und meinen Urteilen, wird sie mir das Leben nicht widerlegen.

Mein Leben bin ich selbst.

1 thought on “8. April 2012 – Lazy Day

  1. joeyyy Post author

    Hi Sabrina,

    freut mich, wenn dich mein Bericht ein wenig gefesselt hat. Ja – ich muss unbedingt auch nochmal nach Kuba. Den Ost-Teil durchqueren. Am liebsten wieder mit dem Fahrrad. Aber es ist voller geworden dort. Mal sehen…

    Du würdest nach Hannover kommen? Gerne! Sag nur, wann es dir passt.

    Lieben Gruß in die Heimat

    Jörg.

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